Eine klassische „shōtengai“-Einkaufspassage imStadtteil Dōgo Onsen von Matsuyama.

shōtengai – in Japan einkaufen wie die Einheimischen

„Guten Morgen.“ – „Guten Morgen!“ Eine ältere Dame grüßt eine Mutter mit Kind, als sie ihren Laden öffnet. Große Holzbottiche reihen sich aneinander, in den sich eingelegtes Gemüse befindet. Leuchtend grüne Gurken, gelber Rettich, mit Shiso rosa eingefärbter Ingwer. Daneben klappert es in einer Verkaufsbude für taiyaki, auf der gegenüberliegenden Seite stehen ein paar Herren vor dem Gemeindezentrum und freuen sich auf ihre Mahjong-Runde. Ich befinde mich in einer shōtengai (商店街). Insgesamt sieht alles ein bisschen heruntergekommen aus. Aber das ist Teil des Charms dieser meist überdachten Einkaufspassagen, die du in vielen japanischen Städten während der Reise nach Japan entdecken kannst. Und selten bist du näher am Alltag der Japaner dran als hier.

Was ist eine shōtengai?

Imposantes Einkaufsschild zu einer Shoppingarkade am Kurokabe Square in Hikone.Imposantes Einkaufsschild zu einer Shoppingarkade am Kurokabe Square in Hikone.
Imposantes Einkaufsschild zu einer Shoppingarkade am Kurokabe Square in Hikone.

Die shōtengai sind Einkaufsstraßen und fester Bestandteil der japanischen Stadtlandschaft und ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen gleichermaßen. Du erkennst sie daran, dass sie oft überdacht und die Eingänge mit großen Schildern markiert sind.

Es gibt sie seit der Meiji-Zeit (1868–1912), als Händler begannen, Geschäfte entlang der Hauptstraßen zu eröffnen. Der Gedanke ist aber viel älter, da sowohl die Kontrollpunkte alter Handelswege als auch die Zugänge zu wichtigen Tempeln und Schreinen seit Jahrhunderten natürliche Entstehungspunkte für Einkaufsstraßen waren.

Viele shōtengai, wie man sie heute noch sieht, entstanden jedoch in den 1920er- und 1930er-Jahren und entwickelten sich schnell zu sozialen Zentren ihrer jeweiligen Viertel, was sie bis heute geblieben sind. Hier kauft man Lebensmittel und andere Dinge für den Alltagsbedarf. Man kennt sich und schaut aufeinander.

Immer viel los ist in der Ameyayokocho in Ueno, Tōkyō.
Immer viel los ist in der Ameyayokocho in Ueno, Tōkyō.

shōtengai als Ort der Begegnung

shōtengai sind weit mehr als reine Einkaufsstraßen. Sie sind soziale Treffpunkte, an denen sich Nachbarn treffen, austauschen und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Viele dieser Straßen bieten regelmäßig Veranstaltungen, Feste und saisonale Dekorationen an, die den Zusammenhalt der Gemeinde fördern.

Da wird je nach Jahreszeit mit künstlichen Kirschblüten, Ahornzweigen oder LEDs geschmückt. Hier finden Halloween-Parties genauso statt wie taiko-Trommelevents. Besonders für ältere Menschen und Familien spielen shōtengai eine Rolle als Ort der Begegnung, da sie alltägliche Besorgungen mit sozialen Kontakten verbinden können.

Was romantisch klingt, funktioniert natürlich nicht mehr überall. Junge Leute ziehen Supermärkte und Einkaufszentren den shōtengai vor, um ihre Einkäufe zu erledigen. Die Ladenbesitzer werden alt und oft gibt es keine Nachfolger, die das geschäft übernehmen wollen. Mancherorts bleiben deshalb die Rollläden der meisten Geschäfte geschlossen und es entstehen richtige Geisterstraßen.

Dennoch ist dies nicht die Norm und du kannst dich bei deiner Japanreise auf das Erkunden der shōtengai in deiner Stadt freuen. In den großen Städten ziehen sich diese manchmal kilometerweit hin.

Hier helfen auch die fröhlichen Flaggen nichts mehr: in dieser Einkaufspassage in Gifu gibt es kaum noch Läden, die geöffnet haben.
Hier helfen auch die fröhlichen Flaggen nichts mehr: in dieser Einkaufspassage in Gifu gibt es kaum noch Läden, die geöffnet haben.

Welche Geschäfte findest du in einer traditionellen japanischen Einkauspassage?

Eine typische shōtengai beherbergt eine Mischung aus traditionellen Geschäften und modernen Läden. Dazu gehören:

  • Lebensmittelmärkte: Frisches Gemüse, Obst, Fisch und Fleisch aus der Region.
  • Spezialitätengeschäfte: Diese Läden verkaufen lokale Delikatessen, handgemachte Süßigkeiten, Tees oder Reisprodukte. Hier kannst du sensationell gutes Miso und eingelegtes Gemüse kaufen.
  • Mode- und Textilgeschäfte: Traditionelle Bekleidung wie Yukata und moderne Modeartikel, oft zu erschwinglichen Preisen.
  • Restaurants und Cafés: Zahlreiche kleine Lokale bieten schnelle Mahlzeiten oder Snacks an, darunter Yakitori, Takoyaki und Ramen. Auch findest du hier häufig sogenannte kissaten, das japanische Pendant zum Kaffeehaus.
  • Kunsthandwerk und Souvenirs: In einigen shōtengai findet man handgefertigte Accessoires, Keramik und andere Souvenirs.
  • Franchises: Je nachdem, wo sich die Passage befindet und wie touristisch ausgerichtt sie ist, findest du auch Läden von diversen Ketten wie Drogerien, Fast-Food-Restaurants und Gashapon-Shops.
Kein unüblicher Anblick in einer „shōtengai“: ein Retro-Kaffeehaus.
Kein unüblicher Anblick in einer „shōtengai“: ein Retro-Kaffeehaus.

Die bekanntesten shōtengai in Japan

Einer der vielen Eingänge ins ausschweifende Einkaufspassagen-Netzwerk von Takamatsu.
Einer der vielen Eingänge ins ausschweifende Einkaufspassagen-Netzwerk von Takamatsu.

Und, Lust bekommen, auch durch eine klassische japanische Einkausstraße zu bummeln?
Wahrscheinlich stolperst du eh während des Japanurlaubs darüber. Aber hier ist noch eine Liste von einigen der bekanntesten shōtengai, die man bei einer Japanreise nicht verpassen sollte:

  • Tōkyō: Der historische Markt Ameya-Yokochō in Ueno bietet eine bunte Mischung aus Straßenständen, Lebensmittelmärkten und kleinen Geschäften, in denen man authentische Snacks und kitschige Souvenirs kaufen kann. Für mehr Retroflair fährst du am ebsten in die Togoshi Ginza.
  • Ōsaka: Eine der längsten shōtengai Japans und bekannt für ihre Modegeschäfte, Restaurants und ihre lebendige Atmosphäre ist die Shinsaibashi-suji. Shinsaibashi ist ein Muss für jeden, der Ōsakas Shopping-Kultur erleben möchte. Am besten startest du bei der U-Bahn-Station Honmachi und kämpfst dich dann durch die Shinsaibashi-suji vor bis zur Dotonbori. Aber sei gewarnt, hier ist wirklich unglaublich viel los. Etwas ruhiger und authetischer geht es in der Kuromon Ichiba oder Tenjin-bashi zu.
  • Kyōto: Eine eher moderne Einkaufsstraße ist ist die Kawaramachi. Dnnoch findest du hier neben modernen Ketten auch traditionelles Kunsthandwerk, Textilien und regionale Spezialitäten. Klassische shōtengai befinden sich in Teramachi und Demachi.
  • Sapporo: In Hokkaidōs Hauptstadt bietet die Ichibangai eine charmante Auswahl an lokalen Produkten und Kunsthandwerk sowie gemütliche Cafés und Restaurants.
  • Takamatsu: Die Stadt auf Japans kleinester Hauptinsel Shikoku behauptet, das größte Netzwerk überdachter Einkaufspassagen in ganz Japan zu haben. Hier kannst du Stunden unterwegs sein.
Modernes Flair hat die Shinsaibachi-suji in Ōsaka.
Modernes Flair hat die Shinsaibachi-suji in Ōsaka.
Eher ruhiger geht es in Ōsaka in der Tenjinbashi zu.
Eher ruhiger geht es in Ōsaka in der Tenjinbashi zu.

Und bevor ich den Artikel beende, kann ich dich nicht ohne folgende Anekdote gehen lassen:
In meiner ersten Woche als Sprachschülerin in Japan (erstes Mal Japan überhaupt, ich hatte von NICHTS eine Ahnung xD) ergab es sich, dass ich mit einer Freudnin vor einer Gruppe Japaner auf Englisch eine kleine Präsentation über die Unterschiede zwischen Deutschland und Japan halten sollte. Meine Freundin hatte irgendwo gehört, dass es in Japan keine Fußgängerzonen gibt. Wir nahmen es für bare Münze, hatten noch keine shōtengai gesehen oder wussten gar, dass es über 15.000 Stück in Japan gibt. Und wunderten uns dann, als während des Vortrags zwanzig Japaner so ganz und gar nicht zustimmend nickten und höchstens etwas betreten schauten.

Du weißt jetzt jedenfalls besser Bescheid. ;)

PS: Das Titelbild zeigt eine Einkaufspassage in Dōgo Onsen in Matsuyama.

Quellen und weiterführende Links

Wikipedia: Shōtengai
Japan Travel: Shop like a local when you explore Japan’s shotengai retail streets
Shotengai: Shotengai Around the World


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