„Klack klack klack klack klack“ macht es, während ich die achteckige Holzbox schüttle. Im Inneren befinden sich Holzstäbe mit einer Nummer. Nach kurzer Zeit fällt einer davon durch eine kleine Öffnung heraus und ich kann die Ziffern ablesen. Ein älterer Herr geht zu einer Wand mit vielen kleinen Schubladen und öffnet jene, die zu meiner Nummer gehört. Er nickt zustimmend, mir ist Glück vorhergesagt. Nicht so gut läuft es bei meiner Mitschülerin von der Sprachschule. Als er ihre Schublade öffnet, stößt er einen überraschten Laut aus und drückt ihr zusätzlich einen Talisman in die Hand. Zum Schutz gegen das Unglück, das sie leider erwischt hat. Orakeln gehört in Japan an Schreinen und Tempeln zu einer beliebten Beschäftigung, vor allem an Neujahr. Heute erkläre ich dir, welche Arten von Orakeln (omoikuji 御神籤) es gibt und wie auch du während einer Reise nach Japan ein Orakel ziehen kannst.

Was sind omikuji?
Ein omikuji ist eine Art, in Japan zu wahrsagen. Eigentlich an jedem religiösen Ort in Japan kannst du orakeln, egal ob shintō-Schrein oder buddhistischer Tempel. Sogar an anderen Stellen wie Einkaufsstraßen sind manchmal Automaten mit Weissagungen aufgestellt, vor allem für Liebesglück.
Ein omikuji, wie die Orakel auf Japanisch heißen, ist in seiner Grundform ein beschriebenes Stück Papier. Darauf findet sich in der Regel eine generelle Tendenz, ob du ein gutes oder schlechtes Orakel gezogen hast. Darüber hinaus enthalten viele omikuji ein kurzes, altertümliches Gedicht und dann genauere Hinweise darauf, was dich in einzelnen Lebensbereichen erwartet oder worauf du achten solltest.

Abgesehen von der klassischen Form als Papierzettel, gibt es mittlerweile viele omikuji, die mit einem Extra kommen. Zum Beispiel steckt die Weissagung dann in einem Tier aus Keramik (zum Beispiel die zwölf chinesischen Tierkreiszeichen oder eine Winkekatze) oder in einem Fisch aus Pappmaché, den du mithilfe einer Route angeln kannst. Manchmal bekommst du ein Glöckchen oder einen anderen kleinen Glücksbringer dazu (in meinem Geldbeutel habe ich einen kleinen, goldenen Hund vom Kotohira-gū-Schrein).

Einige omikuji haben an sich eine besondere Form und das Orakel sieht aus wie ein kleiner Fächer oder ein Schirmchen. Das größte omikuji, das ich mir mal an einem Schrein mitgenommen hatte, kam im Inneren eines lebensgroßen Kunststoffpfirsichs. Das kurioseste, das ich bisher gesehen habe, waren kleine getöpferte Kombinationen aus Vagina und Penis an einem Fruchtbarkeitsschrein, deren Bedeutung sich unterscheid, je nachdem wie die Geschlechtsteile geformt waren.

Spannend wird es bei Orakeln, die zum Beispiel erst durch die Berührung mit Flüssigkeit sichtbar werden und auf die Wasseroberfläche eines Teichs oder gefüllten Beckens gelegt werden müssen. Eines dieser Art musste ich mit einer 50-Yen-Münze beschweren und je nachdem, wie schnell es unterging, gab das einen Hinweis darauf, wie lange es dauern würde, einen Partner zu finden.

Wie kannst du dir in Japan ein Orakel ziehen?
Meist gibt es dort, wo du auch Talismane und Einträge ins Pilgerbuch kaufen kannst, eine omikuji-Ecke. An großen Stätten wie dem Sensō-ji-Tempel in Tōkyō gibt es sogar gleich mehrere, weil so viele Leute gleichzeit ein Orakel ziehen möchten.
Zum einen stehen in der omikuji-Eck wahrscheinlich ein paar Boxen, wo du dir selbst ein omikuji ziehen kannst, indem du den Preis in einen Schlitz wirfst und dann hineingreifst und ein Orakel herausziehst.

Siehst du eine der achteckteckigen Holzboxen, die ich schon erwähnt hatte, kannst du auf ganz traditionelle Art und Weise orakeln, indem du sie schüttelst, bis ein Stäbchen mit Nummer herausrutscht. Davor musst du aber auch hier den angegebenen Preis bezahlen. Entweder in eine bereitstehende Box oder an einen Mitarbeitenden von Schrein oder Tempel. Der Preis ist oft in japanischen Schriftzweichen angebeben: 一百円 oder nur 百円 (100 Yen), 二百円 (200 Yen), 三百円 (300 Yen). Wenn du dir unsicher bist, zeige das Geld dem Verkaufspersonal und sie werden es entweder direkt entgegen nehmen oder dir andeuten, dass du es in einen Schlitz werfen sollst.
Falls ein Wand mit nummerierten Schubalden daneben ist, kannst du dir dein entsprechendes omikuji selbst nehmen. Wenn nicht, zeigst du die gezogene Nummer stattdessen dem Personal und bekommst deinen persönlichen Zettel ausgehändigt.

Was bedeutet mein japanisches Orakel?
Jetzt kommt der schwierige Teil, du möchtest dein Orakel entziffern.
Bringt dein omikuji Glück oder Unglück?
Dafür hältst du zunächst Ausschau nach der generellen Tendenz. Sie sollte irgendwo etwas größer als der Rest stehen und enthält meistens eine Kombination aus dem Kanji für Glück oder Unglück/Fluch und einem Grad, also kleines Glück, zukünftiges Glück, großes Glück und so weiter. Das sind gängige Zeichen, die du auf deinem omikuji finden wirst:
Kanji | Alternativen | Bedeutung | Aussprache |
---|---|---|---|
大吉 | 大大吉, 特吉, 超吉 | Großes Glück | daikichi, dai daikichi, tokukichi, chōkichi |
中吉 | Mittleres Glück | chūkichi | |
小吉 | Kleines Glück | shōkichi | |
半吉 | Halbes Glück | hankichi | |
末吉 | Zukünftiges Glück | suekichi | |
末小吉 | Zukünftiges kleines Glück | sueshōkichi | |
吉 | Glück | kichi | |
平 | Neutral | hei | |
凶 | Unglück | kyō | |
末凶 | Zukünftiges Unglück | suekyō | |
半凶 | Halbes Unglück | ha kyō | |
小凶 | Kleines Unglück | shōkyō | |
大凶 | 大大凶, 特凶, 超凶 | Großes Unglück | daikyō, dai daikyō, tokukyō, chōkyō |
Was die Schreibweise angeht, werden manche Orakelhersteller kreativ. Es kann also sein, dass du etwas auf deinem omikuji siehst, dass hier nicht aufgeführt ist. Aber solange du das Kanji für Glück (吉, kichi) oder Unglück (凶, kyō) siehst, weißt du schon einmal ungefähr, in welche Richtung es geht.

Vorhersagen
Zusätzlich zur grundlegenden Tendenz sind auf vielen omikuji-Orakelzetteln zusätzlich kurze Hinweise zu den unterscheidlichen Lebensbereichen. Da gibt es Punkte wie Arbeit und Reisen, aber auch sehr asiatische Aspekte wie die (un)glücksbringenden Himmelsrichtungen.
Hier brauchst du entweder jemanden, der fließend Japanisch spricht, um dir zu helfen, oder du bemühst eine Übersetzungsapp wie Google Translate. Da omikuji in der Regel in sehr blumigem, alten Japanisch geschrieben sind, brauchen selbst Muttersprachler gelegentlich Hilfe beim Entziffern. Dementsprechend wild ist, was die Apps ausspucken. Aber ehrlich gesagt auch sehr lustig. Etwas mehr Info zu den einzelnen Bereichen und möglichen Weissagungen findest du hier.
Und wenn da Mal sowas steht wie „Trage gelbe Socken“, ja, dann ist das kein Murks von Google Translate, sondern auch solche Info kann in einem omikuji auftauchen.
Zusatztipp: Wenn dein Handy die Schriftzeichen erkennt und du sie als Text herauskopieren kannst, bitte CHatGPT sie zu übersetzen. Damit lassen sich oft viel bessere Ergebnisse erzielen, weil ChatGPT versteht, dass es sich um altmodisches Japanisch handelt, und entsprechend interpretiert.

Hilfe, ich habe Unglück gezogen! Was nun?
Erst Mal keine Panik. Gott sei Dank ist man in Japan sehr pragmatisch mit diesen Dingen. Es gibt also eine Lösung: du knotest deine schlechte Weissagung an den dafür vorgesehenen Platz. (Du wirst sehen, es gibt extra Gestelle dafür oder einen Baum, an den schon andere omikuji gebunden wurden. Gibt es beides, nimm bitte das Gestell, da Bäume bei zu vielen angeknoteten Zetteln Schaden davontragen.). Damit überlässt du dein Unglück den Göttern und diese kümmern sich darum. Einen Talisman zu kaufen, schadet natürlich auch nie.

Was machst du mit deinem Orakel, wenn du Glück gezogen hast? Du hast zwei Möglichkeiten: entweder nimmst du es mit und hebst es auf oder du knotest es ebenfalls im Schrein oder Tempel an.
Da schlechte Vorhersagungen vor Ort bleiben sollten, sind omikuji etwas, das ich nicht als Souvenir empfehle. Denn stell dir vor, du bringst eins mit nach Hause und der Beschenkte hat Unglück. Allerdings könnt ihr das Orakel dann immer noch vorsichtig an einen Baum binden. Früher war das sogar die gängigste Methode, weil man hoffte, durch das Knoten des Papiers würde eine Verbindung mit den Göttern hergestellt.

Gibt es auch englische omikuji-Orakel?
Ja, an den von Touristen viel besuchten Schreinen und Tempeln, gibt es mittlerweile auch Orakel in anderen Sprachen. Ein Beispiel ist der Meiji-Schrein in Tōkyō. Dort bekommst du allerdings ein ungewöhnliches omikuji, denn es besteht nur aus einem Gedicht und hat sonst nichts von all den oben erwähnten Features. Fische angeln kannst du zum Beispiel am Hikawa-Schrein in Kawagoe und am Toyokawa Inari in Toyokawa. Das erotische omikuji, das ich erwähnt habe, gibt es am Taga-Schrein in Uwajima.

Wie ist es bei dir, glaubst du an Weissagungen dieser Art? Welche Form müsste das Orakel haben, damit du verlockt bist, eins zu ziehen?
Quellen und weiterführende Links
Wikipedia: おみくじ
JNTO: Draw an „Omikuji“ Fortune Slip at Japan’s Temples or Shrines
Amateras: History and Contents of Japanese Omikuji
Bokksu: Omikuji: Unveiling the Mystique of Japanese Fortune-Telling
Rakuten Travel: How To Read Your Omikuji and Prevent Bad Luck
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