Das Buch wurde mir freundlicherweise von Reprodukt zur Verfügung gestellt.
Yoshiharu Tsuge ist einer der ganz großen Namen in Japan. Nicht für eine Serie, die ähnlich Bleach, Naruto oder One Piece ganze Regale füllt, sondern für ein eigenes Manga-Genre, das er begründete: das „Ich-Comic“ (watakushi manga 私漫画).
Während seiner Hauptschaffenszeit 1965–1970 veröffentlichte er insgesamt 22 Kurgeschichten bei der monatlichen Manga-Anthologie Garo ガロ. 20 davon sind nun bei Reprodukt Berlin erschienen. Endlich. Denn der Kampf mit dem zurückgezogen lebenden Autor um die Rechte dauerte 15 Jahre.
„Rote Blüten“ von Yoshiharu Tsuge
„Rote Blüten“ von Yoshiharo Tsuge enthält zwanzig kurze Geschichten, die sich schwierig in einem Absatz zusammenfassen lassen. Meist sind es kurze Reiseerzählungen eines Mangazeichners, der in entlegenen Gegenden Japans unterwegs und auf der Suche nach Inspiration ist. Ob es sich dabei immer wieder um den selben Erzähler oder gar Tsuge selbst handelt, ist mit kleinen Ausnahmen weder erkennbar noch von Bedeutung.
Kuriose Begegnungen und kleine Beobachtungen bilden den Kern der Geschichten. Zum Beispiel mit einer jungen Frau, die gerne im Schlaf von der Schlange, die sie als Haustier hält, gewürgt wird und dabei Lust empfindet. Oder dem Herbergsbetreiber, der um seiner religiösen Frau eins auszuwischen, wertvolle Zierkarpfen aus dem Teich des Nachbardorfs fischt, um sie dann zu essen, statt gewinnbringend zu verkaufen.
Die Geschichte „Rote Blüten“, die der Sammlung ihren Namen gibt, erzählt feinfühlig und metaphorisch von der ersten Periode eines Mädchens, während sein berühmtestes Werk „Verschraubt“ den Leser in eine surreale, groteske Traumwelt entführt, die einen eher verstört zurück lässt.
Insgesamt stellt „Rote Blüten“ einen abwechslungsreichen Geschichtenschatz dar, der vielschichtige Einblicke ins Innenleben des Autors gewährt und zeitgleich ein Licht auf die vielen verschrobenen Auswüchse des Menschseins wirft.
Der erste Absatz
„Hallo, Schatz! Heute hab ich was Tolles gesehen!“ – „Was?“ – „Darf ich es kaufen? Bitte!“ – „Was ist es denn?“ – „Ein Reisfink!“ (Tsuge, Reprodukt, 2019, Seite 6-7)
Meine Meinung
Nach den ersten drei Kurzgeschichten in „Rote Blüten“ legte ich das Buch zum ersten Mal weg und war fest davon überzeugt, dass es gar nicht mein Fall sei. Dan nam ich es wieder zur Hand, las weiter, grummelte über den unterschwelligen Rassismus gegenüber Koreanern (bis heute ein heikles Thema in Japan) und klappte nach „Der Salamander“ ein weiteres Mal den Manga schockiert zu. Was hatte ich da gerade gelesen? Wie mochte sich ein Autor nur mit so unangenehmen Themen auseinander setzen?
Gut, dass es Schaffende wie Tsuge gibt. Sein eigenes Leben, geprägt durch Depression und einen Selbstmordversuch nach einer gescheiterten Beziehung, inspirierte ihn zu seinen kuriosen Arbeiten, die auf so wenigen Seiten so viel erzählen. Wenn man nur bereit ist, sich darauf einzulassen.
Das war ich nach dem ersten Schock und war bei jeder neuen Geschichte gespannt, welch menschlichen und gesellschaftlichen Abgründen er sich dieses Mal widmen würde. Erotik, Gewalt, Verabscheuungswürdiges, Skurriles und dann wieder Herzerwärmendes wie in der Titelgeschichte um das menstruierende Mädchen bilden einen Geschichtenteppich, der eigentlich nicht zusammenhängt und doch ein Gesamtbild ergibt. Ein Bild davon, was es alles heißen kann, Mensch zu sein. Mit allen guten und schlechten Facetten.
Der Zeichenstil ist, wie schon wie bei dem fantastischen „Tante NonNon“ von Shigeru Mizuki (unbedingt lesen!), geprägt von detailreichen Hintergründen, vor denen sich die einfach, karikaturartigen Figuren nahezu schmerzhaft abheben. Kein Wunder, waren Mizuki und Tsuge doch Kollegen bei der Zeitschrift Garo und Tsuge zeitweise sogar Mizukis Assistent. Allerdings haben Mizukis Gesichter etwas ulkiges und liebenswertes, das Tsuges Figuren meiner Meinung nach leider fehlt. Abstrakt-realistisch wird er immer nur dann, wenn es um die Darstellung von Erotik geht.
Die Ausgabe von Reprodukt kommt mit einer sehr spannenden Neon-Farbgestaltung und UV-Lack-Veredelung auf dem Cover daher. Das Buch ist gebunden mit einem stabilen Flexicover, das es auch braucht, denn man wird das Buch nicht nur einmal lesen, um alles zu verstehen. Und dann an Freunde und Bekannte weitergeben.
Ein Lesebändchen habe ich bei den knapp 400 Seiten sehr vermisst.
Im August erscheint bei Reprodukt ein weiteres Werk von Tusge: „Der nutzlose Mann“ (bei Amazon vorbestellen*).
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