Es ist 5:45 als der Wecker klingelt. Als ich wach werde, muss ich mich erst einmal orientieren. In welcher Stadt sind wir gerade? Wache ich auf einem Futon oder einer normalen Matratze auf? Ah ja, wir sind in Kumamoto. Futon war vorgestern.
Fünf Minuten später springe ich aus dem Bett. Kaltes Wasser ins Gesicht, ab in die Klamotten, die ich am Vorabend schon bereitgelegt habe.
Der Koffer ist fertig gepackt, damit ich ihn gleich beim Check-out an der Rezeption zum Versand abgeben kann. Mit mir mit kommen nur ein kleines Handgepäck und mein Rucksack. Um 6:30 stehen alle Teilnehmer meiner Reisegruppe pünktlich unten in der Lobby, haben schon ihre Schlüssel und Koffer abgegeben. Ich konnte organisieren, dass das Frühstücksrestaurant 15 Minuten eher als gewöhnlich für uns öffnet, da wir eine frühe Zugverbindung haben.
Kurze Zeit später sitzen wir auch schon in vorbestellten Taxen zum Bahnhof. Die Fahrer sind informiert, wohin es gehen soll und dass sie bitte eine Quittung ausstellen sollen. Jeweils ein Reisegast pro Taxi bekommt einen kleinen Umschlag mit Fahrgeld in die Hand gedrückt. Beim Aussteigen zahlt er oder sie und legt Wechselgeld plus Quittung zurück in den Umschlag, den ich dann wieder entgegennehme.
7:42, der Shinkansen fährt los. Nachdem ich noch dafür gesorgt habe, dass alle in den richtigen Zug einsteigen und am reservierten Platz sitzen, kann ich durchatmen. Alles hat geklappt. Nächster Halt: Hiroshima.

Traumjob Reiseleitung in Japan?
Früher habe ich gesagt, dass ich nie im Leben Reiseleitung machen möchte. Die Verantwortung für andere Leute übernehmen und obendrein Japanisch sprechen müssen … auf keinen Fall. Man merkt schon, da waren bei mir viele Unsicherheiten im Spiel. Denn eigentlich liegt mir vieles, was man für den Job mitbringen muss. Ich liebe Japan, vermittle gerne mein Wissen dazu, organisiere gern und mag es, andere Menschen glücklich zu machen. Noch dazu habe ich immer gesagt, mein Traum wäre es, dass ich Japan bereisen kann und obenedrein noch dafür bezahlt werde. Nun ja, haha, genau das lebe ich jetzt.
Ich kann mich überraschend gut auf unterschiedliche Menschen einstellen und freue mich, wenn ich sehe, dass es ihnen in Japan Spaß mit mir macht. Meine Sprachkenntnisse werden durch den täglichen Einsatz automatisch kontinuierlich besser. Man wächst in die Aufgabe hinein.
Dennoch ist das nichts für jeden. Auf keinen Fall darf man der Illusion erliegen, dass Reiseleitung ähnlich ist wie eine normale Reise. Privatmensch bin ich erst wieder ab Ende der Tour. Ab dem Moment, wo ich morgens mein Zimmer verlasse, stehe ich meinen Gästen zur Verfügung für Fragen, löse kleinere und größere Probleme. Tagsüber bin ich durchgehend auf der Hut, dass mir niemand verloren geht, erzähle, erkläre, sorge dafür, dass wir reibungslos von A nach B kommen.
Ja, ich bin an den schönsten Orten Japans, aber es fühlt sich völlig anders an, als wenn ich als Privatreisende hier bin. Das ist nicht negativ, aber eben anders. Du gehst nicht selbst erkunden. Du sorgst dafür, dass deine Teilnehmer erkunden können.
Freie Momente, auch am Feierabend, verbringe ich damit, einen Happen zu essen und ansonsten zu recherchieren und organisieren: Verbindungen, Reservierungen, Hintergrundwissen. Mein Arbeitstag endet meist gegen 22:00 Uhr.
All das ist eine bewusste Entscheidung. Je länger man den Job macht, umso besser kennt man natürlich schon alle Orte und weiß, welche Verbindungen gut klappen. Das kommt bei mir erst langsam. Noch schaue ich lieber einmal zu viel nach. Auch bin ich jemand, der alles gibt. Ich mache mit meinen Tourgästen oft Sachen zusätzlich, die nicht im Programm stehen, vor allem, wenn sie darum bitten. Schließlich möchte ich, dass sie die Reise ihres Lebens haben. Aber fordernd ist der Job so oder so.

Leben in zwei Welten
Wenn ich zu Hause bin, vermisse ich Japan. Wenn ich in Japan bin, vermisse ich zu Hause. Seit 15 Jahren lebe ich in zwei Welten und nie war es so extrem wie jetzt, wo ich mehr oder weniger ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr dort lebe. Mein Herz kommt gar nicht aus dem Sehnen heraus.
In beiden Ländern gibt es Dinge die mich nerven und dafür sorgen, dass ich mich aufs das andere freue. In beiden Ländern gibt es Dinge, die ich liebe und mir ein Gefühl von Sicherheit und Heimat geben.
Oft schwanken meine Empfindungen für die Situation. An vielen Tagen bin ich dankbar für dieses abenteuerliche und abwechslungsreiche Leben, in dem ich an mehreren Orten daheim bin. An schlechten Tagen vermisse ich es, ein festes Zuhause mit einem geregelten Alltag zu haben.
Aber auch hie rmuss ich wieder eine Lanze für den Beruf Reiseleiterin brechen, denn ich selbst bestimmt, wie viele Touren im Jahr ich führe. Es ist also meine Entscheidung, dass ich es gerade ausreize und fast sechs Monate pro Jahr hier bin (länger sollte es aus steuerlichen Gründen übrigens nicht sein, da sich sonst der Lebensmittelpunkt verschiebt).

Die guten Dinge
Es ist für mich ein klasse Gefühl, wenn helfen das kann. Die meisten Probleme während einer Tour lassen sich gut lösen. Da kann ich auf ein Geschäft verweisen, eine Verbindung raussuchen, an der Rezeption einen Luftbefeuchter oder ein weicheres Kissen organisieren. Ich kenne an einem Punkt, der eh auf dem Programm steht, zusätzlich eine nette Ecke, weiß, wo sich der Sammelstempel befindet oder wo es einen besonders schönen Eintrag ins Pilgerbuch gibt … das macht es für meine Gäste besonders. Und gibt mir eine ungeahnte Befriedigung im Job, die ich davor selten hatte.
Die meisten Gruppen wachsen im Laufe der Reise zusammen. Da kann ich mit ansehen, wie Freundschaften entstehen, sich gegenseitig geholfen wird und man sich wegen laufender Insider-Witze irgendwann gemeinsam die Bäuche hält vor lachen.
Vielen Gästen erfülle ich einen Lebenstraum: einmal Japan sehen. Und ohne mich beziehungsweise eine Gruppenreise hätten sie diesen Traum nicht verwirklicht. Ich kann sehen, wie sie sich in einzelne Orte, die Leute, die Kultur verlieben. Und meine Japanliebe zu teilen, das macht glücklich.
Fazit
Von allem, was ich im Leben gemacht habe, ist die Arbeit als Reiseleiterin die körperlich anstrengendste. Jeden Tag habe ich mindesten 12 km und an die 16.000 Schritte auf der Uhr, an manchen bis zu 30.000. Ich bin die letzte, die in Bus oder Zug sitzt und diejenige, die bei keinem Punkt sagen kann „ich bin müde, ich mach das jetzt nicht mit“. Aber natürlich ist das auch gut für meine Gesundheit. Jeden Tag auf den Beinen und an der frischen Luft, das tut mir gut. Bisher waren alle aufkommenden Probleme lösbar, selbst Unfälle mit Verletzungen konnte ich meistern. Macht es jede Minute Spaß? Natürlich nicht. Welcher Job tut das schon. Aber es fühlt sich jeden Abend gut an, wenn man einen tollen Tag mit der Gruppe hatte. Und es macht mehr Spaß als nicht. Nur eines ist es ganz sicher nicht: Urlaub.
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Ich finde deine Entwicklung der letzten Jahre zu beobachten so unglaublich faszinierend und spannend und ich bin so unendlich stolz auf Dich!
Was mir persönlich gefällt ist dieselben Orte zu unterschiedlichen Jahreszeiten und mit unterschiedlichem Wetter zu sehen. Wenn ich privat fahren würde, würde ich nicht immer wieder dasselbe anschauen. Es ist zwar dasselbe, aber doch irgendwie anders.
Zudem lernt man die Orte auch besser kennen. Ich freue mich immer auf meinen freien halben Tag in Takayama und entdecke dann immer wieder neues. Hier mal in ein neues Cafe rein oder ein neues Restaurant ausprobieren, es gibt immer etwas zu entdecken.