Anstehen für hatsumode, den ersten Schreinbesuch am Meiji Schrein in Tōkyō.

Neujahr in Japan: Bräuche und Traditionen – Teil 1

Neujahr (shōgatsu 正月) ist in Japan ein besinnliches Familienfest mit ähnlichem Stellenwert wie bei uns Weihnachten. Man kehrt nach Hause zurück, es gibt besonderes Essen und viele Geschäfte, Büros, Arztpraxen und sogar Geldautomaten bleiben für mehrere Tage geschlossen (beziehungsweise außer Betrieb). Selbstverständlich gibt es um den Jahreswechsel in Japan viele Tradition und Bräuche, die das Familienfest begleiten (Fun Fact: Feuerwerk gehört nicht dazu). Diese stelle ich dir nun in einer zweiteiligen Artikelreihe (hier geht es zu Teil 2) einzeln vor. Zunächst jene Aktivitäten, die bis zum Jahreswechsel und am Silvesterabend üblich sind.

Neujahrskarten

Neujahrskarten in Japan (nengajō 年賀状) kann man statt als Brauch schon fast als Pflicht bezeichnen. Und ein großes Business. Jeder schreibt Neujahrskarten. An die Familie, Freunde, Kollegen, Geschäftspartner… Schon Monate vorher erscheinen Kataloge mit einer schier unendlichen Auswahl an Designs. Verziert werden die Karten gerne mit Stempeln, wie man sie zu der Zeit sogar kostenlos auf dem Postamt findet, um der Neujahrspost den letzten Schliff zu geben. Damit man es überhaupt schafft, die große Menge an Postkarten zu schreiben, und damit diese auch rechtzeitig am 01.01. des neuen Jahres geliefert werden können, bereitet man sie vor und gibt sie zwischen dem 15.12. und 25.12. ab. Markiert werden diese Karten dann mit dem Wort nenga 年賀, so wissen die Postbeamten Bescheid, dass diese Karten erst an Neujahr ausgeliefert werden sollen.

Neujahrskarten sind in Japan Serious Business. Jedes Jahr gibt es eine gigantonormische Auswahl passend zum Tierkreiszeichen des jeweiligen Jahres. 2020: die Ratte.
Neujahrskarten sind in Japan serious business. Jedes Jahr gibt es eine gigantonormische Auswahl passend zum Tierkreiszeichen des jeweiligen Jahres. 2020: die Ratte.

Hausputz

Bevor das neue Jahr beginnt, machen die Japaner einen gründlichen Hausputz (ōsōji 大掃除). Dabei geht es weniger darum, die zu Besuch kommende Verwandtschaft zu beeindrucken, (wobei die sicher zusätzliche Motivation ist 😆) sondern um Reinheit, ein großes Thema vor allem im shintō (die japanische Religion, die fürs Leben und Feiern verantwortlich ist). Ein geputztes Haus begrüßt das neue Jahr frisch und lädt die Götter ein.

In Japan werden an vielen Stellen noch Reisigbesen verwendet.
In Japan werden an vielen Stellen noch Reisigbesen verwendet.

Japanische Neujahrsdekoration

Zu den klassischen Dekorationen für den Jahreswechsel gehören Reiskuchen mit einer Bitterorange oben drauf kagami mochi (鏡餅, „Spiegel-Reiskuchen“), Bambus-Gestecke kadomatsu (門松, „Tor-Kiefer“) 🎍 und Türkränze und -gestecke aus einem Reisstroh-Strick mit weiteren Elementen dekoriert – sogenannte shime kazari (注連飾り, „Heiliges Strohseil“). Etwas mehr über japanische Neuhjarsdeko kannst du in diesem Artikel von mir lesen.

Ein kadomatsu-Bambus-Gesteck ist eine traditionelle Neujahrsdekoration.
Ein kadomatsu-Bambus-Gesteck ist eine traditionelle Neujahrsdekoration.

Kōhaku Uta Gassen

Was bei uns Dinner for One, ist für die Japaner die Musik-TV-Sendung Kōhaku Uta Gassen (紅白歌合戦, „Rot-weißer Gesangswettstreit“), die auf dem staatlichen Fernsehsender NHK läuft. Diese wurde 2019 zum bereits 70. Mal ausgestrahlt und ist für einen Großteil der Leute Pflichtprogramm am Silvesterabend. Über vier Stunden hinweg treten zwei Teams bestehend aus populären Schlager- und Popsängern (Team Rot und Team Weiß) gegeneinander an. Am Ende entscheiden eine Jury und das Publikum, welches Team gewonnen hat.

Als ich den Jahreswechsel 2017/18 in Japan verbrachte, saß auch ich vor dem Fernseher und feuerte das weiße Team an. Wie es mir gefallen hat, kannst du hier lesen.

Zum Jahreswechsel 2017/18 erfüllte ich mir den Traum, einmal im Leben wie alle Japaner "Kōhaku Uta Gassen" zu schauen.
Zum Jahreswechsel 2017/18 erfüllte ich mir den Traum, einmal im Leben wie alle Japaner Kōhaku Uta Gassen zu schauen.

Lange Soba-Nudeln schlürfen

Am Silvesterabend ist es Tradition, lange Soba-Buchweizennudeln zu schlürfen, die sogenannten „Jahresende-Soba“ (toshikoshi soba 年越し蕎麦). Das wichtigste dabei: die Nudeln müssen komplett in den Mund geschlürft und dürfen nicht abgebissen werden, da sie für ein langes Leben stehen.

Meine toshikoshi Soba-Buchweizennudeln aus einer kleinen, schrabbligen Nudelsuppenbude in Asakusa, Tōkyō.
Meine toshikoshi Soba-Buchweizennudeln aus einer kleinen, schrabbligen Nudelsuppenbude in Asakusa, Tōkyō.

Glocke am Tempel schlagen

Viele Japaner gehen zu Mitternacht an einen Tempel. Dort wird die Tempelglocke 108 Mal geschlagen ( joyanokane 除夜の鐘), stellvertretend für die 108 Sünden der Menschheit. An dem kleinen Tempel, an dem ich den Beginn des Jahres 2010 erlebte, durfte einmal davon sogar ich die Glocke schlagen.

An einem Tempel in Ofuna wird für Neujahr geschmückt.
An einem Tempel in Ofuna wird für Neujahr geschmückt.

Der erste Schreinbesuch im neuen Jahr

Traditionell besucht man als Japaner zu Beginn eines neuen Jahres einen shintō-Schrein. Dieser erste Schreinbesuch nennt sich hatsumode (初詣). Manchmal passiert dies noch in der Silvesternacht, aber auch in den ersten Tagen nach dem Jahreswechsel haben große und wichtige Schreine Millionen Besucher. Das ist gleichbedeutend mit anstehen, anstehen, anstehen. Sowohl für Japaner als auch für Touristen, die sich „nur mal kurz“ zum Beispiel den Meiji-Schrein in Tōkyō ansehen wollen. Dafür braucht es dann viel Geduld und starke Beine, doch Japan zum Jahreswechsel zu erleben ist eine ganz eigene, spannende Sache.

Leute warten am Kanda Myōjin Schrein in Tōkyō darauf, hineingelassen zu werden für hatsumode, den ersten Schreinbesuch des Jahres.
Leute warten am Kanda Myōjin-Schrein in Tōkyō darauf, hineingelassen zu werden für hatsumode, den ersten Schreinbesuch des Jahres.

Neue Glücksbringer kaufen

Ist man schon am Schrein, kauft man auch gleich neue o-mamori ( 御守り) Glücksbringer fürs kommende Jahr. Auch daruma werden gerne zu dieser Zeit gekauft. Zusätzlich zieht man sich ein Orakel, ein o-mikuji (おみくじ). Meist auf Papierstreifen, manchmal aber auch anderen Materialien oder Formen, kann man seine Voraussage fürs kommende Jahr in Bereichen wie Beruf, Liebe, Gesundheit und Reisen lesen.

In Reih und Glied warten daruma Stehaufmännchen darauf in Kawagoe gekauft zu werden und ihrem neuen Besitzer, einen Wunsch zu erfüllen.
In Reih und Glied warten daruma-Stehaufmännchen darauf, in Kawagoe gekauft zu werden und ihrem neuen Besitzer einen Wunsch zu erfüllen.
Ich angle mir am Hikawa Schrein in Kawagoe ein Orakel in Firschform für das neue Jahr.
Ich angle mir am Hikawa-Schrein in Kawagoe ein Orakel in Fischform für das neue Jahr.

Außerdem gibt es eine generelle Tendenz, die von großes Pech bis großes Glück rangiert. Fällt das Orakel negativ aus, nimmt man es auf keinen Fall mit nach Hause, sondern knotet es am Schrein an einen Zweig oder dafür vorgesehene Gestelle mit Stangen oder Schnüren. Viele Japaner verfahren mit positiven o-mikuji ebenso.

o-mikuji Orakel, die am Ōasahiko Schrein in Bando, an Schnüre geknüpft wurden.
o-mikuji Orakel, die am Ōasahiko Schrein in Bando, an Schnüre geknüpft wurden.

Den ersten Sonnenaufgang beobachten

Während bei uns in der Silvesternacht nach dem Feuerwerk, auf das man in Japan übrigens vergebens wartet, meist irgendwann Schluss ist und nur noch ein paar Betrunkene auf den Straßen unterwegs sind, kannst du dir vorstellen, dass in Japan durch die nächtlichen Tempel- und Schreinbesuche noch lange Leben in den Städten herrscht. In Tōkyō fahren viele U-Bahnen in dieser Nacht durch. Nach dem hatsumode bleiben nämlich einige Japaner wach (oder stehen früh genug wieder auf), um den ersten Sonnenaufgang des Jahres zu beobachten (hatsuhinode 初日の出). Dafür gibt es natürlich besonders beliebte Plätze. Rund um den Fuji zum Beispiel, oder für viele Hauptstädter vom Berg Takao aus (ein Erlebnis, das noch auf meiner Japan-To-Do-Liste steht).

shime kazari Deko findet man an Neujahr an fast allen Türen und Wänden.
shime kazari Deko findet man an Neujahr an fast allen Türen und Wänden.

Dies war es noch lange nicht mit den japanischen Neujahrsbräuchen und -traditionen. Im zweiten Teil dieses Artikels erzähle ich dir, wie man den Neujahrstag verbringt, was gegessen wird und wann die Feierlichkeiten wieder ihr Ende finden.


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6 Kommentare zu “Neujahr in Japan: Bräuche und Traditionen – Teil 1

  1. Ich bedanke mich für die information, haben mir bei meiner Schul Presintazieon sehr geholfen.

  2. Jaqueline

    Das heilige Strohseil find ich klasse. ^^

  3. Hallo Elisa,
    ich gehöre eigentlich zu den „stillen Mitlesern“ Deines Blogs, möchte aber zum Thema Neujahrskarten hier nur eine kleine Anmerkung machen (weil es mich/uns im Jahr 2019 betrifft):
    Es werden keine Grußkarten ausgetauscht, wenn während des Jahres jemand aus der Familie gestorben ist (hier mein Schwiegervater).
    Wir haben recht frühzeitig vor der „Neujahrskartensaison“ ab Anfang November nochmals Trauerkarten (喪中葉書 mochu-hagaki) verschickt.
    Das sind einfachere Postkarten, um Freunde und Verwandte zu informieren, dass man sich aufgrund des Todesfalles in der eigenen Familie mit Glückwünschen zurückhalten wird und auch keine Glückwunschkarten 年賀状 erwartet.
    Fand ich insofern etwas kurios, da auch die Personen, die von dem Todesfall natürlich wußten, alle eine solche Karte bekommen haben.
    Auch das Versenden der 喪中葉書 ist insofern vielleicht eine Tradition und ein „must“ und entspricht japanischen Höflichkeitsregeln.
    Gruss
    Olaf

    • Hallo Olaf,
      vielen Dank für die ausführliche Zusatzinfo. Ich hab’s hier jetzt nicht erwähnt, weil ich nochmal ausführlich was zu den Neujahrskarten schreiben möchte, aber tatsächlich hätte ich das gar nicht alles gewusst. Dass man dann keine Karten schickt schon, aber nicht, dass man vorab darüber informiert.
      Es tut mir sehr leid, dass es dich gerade persönlich betrifft, bedanke mich aber sehr herzlich, dass du vom stillen Mitleser zum kommentierenden geworden bist und diesen wertvollen Beitrag beigesteuert hast.
      Akeome und alles Liebe
      Elisa

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