„Habt ihr gesehen, wie ich den Wagen durchs Wasser gezogen habe?“ Freudig aufgeregt strahlt der Lehrer meiner ehemaligen Sprachschule und einzige andere Westler heute hier in Gamagōri uns an. Gut, ein bisschen Alkohol ist auch im Spiel, aber die Endorphine bei ihm sind echt. Er ist seit einigen Jahren mit einer Japanerin hier verheiratet. Und dass er mithelfen darf, einen der riesigen Festwagen durchs Meer zu ziehen, zeigt, dass er hier endgültig angekommen ist und als Gemeindemitglied aufgenommen wurde. Es ist Oktober, die Sonne strahlt und es findet eines der spektakulärsten Schreinfeste von ganz Japan statt: das Miya Matsuri in Gamagōri.
Inhalt dieses Artikels
Musik, Mochi und sieben Glücksgötter
Schon am Vorabend wird das Küstenstädtchen Gamagōri in der Präfektur Aichi in Stimmung gebracht. Mehrere Musikgruppen ziehen mit Handkarren, aus denen sie ihre Mitglieder mit Essen und Trinken versorgen, durch die Straßen hin zur Miyabucht und spielen einen auf. Ein bisschen, wie ich mir einen Bardenstreit vorstelle, schießt es mir durch den Kopf, während mein Fuß unweigerlich im Takt mitwippt.

Mehr und mehr Leute zieht es aus den Häusern. Auch sie können sich den fröhlichen Rhythmen nicht entziehen und kommen ans Wasser. Dort findet auch eine kleine Theateraufführung statt. Schauspieler sind als die sieben Glücksgötter verkleidet. Man erkennt sie jeweils and unverwechselbaren Erkennungsmerkmalen, zum Beispiel einem goldenen Hammer oder einer außergewöhnlichen Kopfform der getragenen Maske. Auch hier wird musiziert, getanzt, gesungen.

Zum Abschluss des Spekatkels holen sich alle Beteiligten und auch die Zuschauer inklusive mir frischen Mochi-Reiskuchen am Schrein ab. Eine perfekte Einstimmung für den kommenden Festtag.

Eine Reise für die kami

Am nächsten Tag strömen Tausende Besucher in die Stadt. Alle wollen sehen, wie die riesigen Festwagen vom Yatsurugi Schrein zum Wakamiya Schrein gezogen werden. Eine Teilstrecke davon durchs offene Meer in der Miyabucht.

Jeder Wagen ist mehrere Tonnen schwer und beherbergt sowohl Musiker als auch weitere Festteilnehmer, manche davon kunstvoll geschminkt. Dementsprechend braucht es eine Menge Manpower, um so einen Wagen in Bewegung zu bringen, geschweige denn durchs Wasser über den schlammigen Meeresboden zu ziehen.

Normalerweise werden bei Schreinfesten die lokalen Götter, die kami (神), wie sie auf Japanisch heißen, in o-mikoshi-Sänften (お神輿) durch die Nachbarschaft getragen. Aber mancherorts geht es eben auch etwas größer und spektakulärer zu, so wie einmal im Jahr im Oktober in Gamagōri.
Für die Zuschauer ist es ein heidenspaß, für die Teilnehmenden oftmals richtig gefährlich. Der Wasserstand in der Miyabucht ist niedrig und das Meer ruhig, aber ohne ist das Unterfangen trotzdem nicht.


Ziel der Prozession ist der Wakamiya-Schrein. Dort wird an Street-Food-Ständen gegessen, gelacht und Glücksbringer gekauft. Als die Schreinpriester mich und meine damalige Reisebegleitung entdecken, wird uns sofort Sake angeboten und ein Fernsehteam filmt das ganze auch noch. (Wie oft ich mittlerweile in Japan schon im TV zu sehen war, oh Mann oh Mann).


Ganz anders ist die Stimmung am Yatsurugi-Schrein, der an diesem Tag für kurze Zeit ohne seine kami auskommen muss. Kaum etwas los, ein paar Fahnen knarzen unruhig an ihren Holzstangen. Und nenn mich verrückt, aber es fühlt sich hier irgendwie komisch an. (Wobei streng genommen die Götter aller japanischer Schreine im Oktober abwesend sein sollten, da sie sich auf nach Izumo machen, aber das ist eine andere Geschichte.)
Das Miya Matsuri in Gamagōri ist einen Besuch wert

Gamagōri ist ein absoluter Geheimtipp. Die Stadt ist, obwohl sie neben dem Miya Matsuri mit ihrer kleinen, heiligen Insel Takeshima immer einen Besuch wert ist, noch gar nicht auf dem Radar westlicher Besucher. Noch nicht mal von Reiseführern. Doch wenn du deine Reise nach Japan im Oktober unternimmst, musst du dort einfach vorbeischauen. Denn so spektakulär wie bei diesem Schreinfest wird es sonst selten.
Quellen und weiterführende Links zum Miya Matsuri
Miya Matsuri offizielle Website (engl.)
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Hallo Elisa,
dieses Fest ist anders.
Der Weg des Schreins durch das Meerwasser trägt sicher
einen guten Teil dazu bei.
Wir haben Herbst die Außentemperaturen sinken auch in Japan.
Wie warm oder kalt mag das Wasser in der Bucht sein?
Ich denke mir, die Zieher sind abgehärtet – von außen und von innen.
Wirkt Sake auch von außen?
Sonnige Grüße Frank
Ich war die Woche erst wieder in Gamagōri und das Meerwasser war noch ersteunlich warm, weil auch die Temperaturen draußen noch herrlich sommerlich sind.
Aber in jedem Fall hilft Sake sicherlich ;)