Wasserspeier in Drachenform am Hakone-Schrein.

Drachen und das japanische Kaiserhaus

Wenn du an einen Drachen denkst, siehst du ihn dann Feuer speien und Menschen tyrannisieren? In Japan ist das etwas anders. Dort sind Drachen dem Wasser zugeordnet. Auch sind sie in vielen Fällen den Menschen wohlgesinnt, helfen Fischern wie Bauern zu einem ertragreichen Fang beziehungsweise einer erfolgreichen Ernte. Sie treten sowohl im Buddhismus als auch im shintō auf. Häufig werden Sie dir als beeindruckende Deckengemälde in Tempeln oder als sprudelnde Wasserspeier an Schreinen begegnen. Das erste Mal schriftlich erwähnt wurden sie bereits in den beiden ältesten japanischen Schriften, die vom Schöpfungsmythos des Landes erzählen: Kojiki 古事記 (712 n. Chr.) und Shoku Nihongi 続日本紀 (720 n. Chr.). Dementsprechend besteht auch eine enge Verbindung zum japanischen Kaiserhaus.

Drachen in der japanischen Mythologie

Drachen als mythologische Wesen kamen vermutlich über Indien und China nach Japan. Deshalb ähneln sie in ihrer schlangenartigen Gestalt und guten Gesinnung den Fabelwesen des asiatischen Festlandes. Dennoch gibt es auch Legenden, die von wütenden Monstern erzählen, die von Helden zur Strecke gebracht werden mussten.

So zum Beispiel Yamata no Orochi 八岐大蛇 mit seinen acht Köpfen, den der Windgott Susanoo mit einer List betrunken macht und so besiegen kann.

Windgott Susanoo kämpft gegen den achtköpfigen Drachen Yamata no Orochi. (Foto: Toyohara Chikanobu auf Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1355187 CC0 1.0)
Windgott Susanoo kämpft gegen den achtköpfigen Drachen Yamata no Orochi. (Foto: Toyohara Chikanobu auf Wikimedia Commons CC0 1.0)

Die größte Unterschiede zu den Drachen des westlichen Kulturkreises sind das Fehlen von Flügeln und die Zuordnung zum Element Wasser. 

Der legendärste Drache in der japanischen Mythologie ist Watatsumi 海神, dessen Schriftzeichen schlichtweg „Meeresgott“ bedeuten. Er ist jedoch auch unter dem Namen Ryūjin bekannt 龍神 – „Drachengott“. Angeblich lebte er in einem prächtigen Palast aus weißen und roten Korallen am Meeresboden und ist Besuchern gegenüber offen.

Am Tatsuki-Schrein in Okazaki speist ein steinerner Drache das Wasser in den temizuya-Brunnen.
Am Tatsuki-Schrein in Okazaki speist ein steinerner Drache das Wasser in den temizuya Brunnen.

Eine Geschichte, die in Japan jedes Kind kennt, ist die von Fischersmann Urashimataro, der die Tochter des Drachenkönigs heiratet und einige Zeit mit ihr im Palast auf dem Grund des Meeres verbringt. Als er Heimweh bekommt, gibt ihm der Drache eine Schachtel, die Urashimataro nicht öffnen soll. Zurück an Land muss er feststellen, dass die Zeit im Palast wesentlich langsamer vergangen ist. Seine Familie und alle, die er kannte, sind bereits tot. Als er letztendlich die Kiste öffnet, altert auch er.

Göttliche Abstammung des Kaisers

Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs wurde der Kaiser beziehungsweise früher auch Kaiserinnen als göttlich angesehen, da sie in direkter Linie von Amaterasu, der Sonnengöttin und höchsten Entität im Shintoismus, abstammen sollen.

Das ist aber noch nicht alles. Auch Watatsumi der Drachengott findet sich im kaiserlichen Stammbaum wieder. Das begab sich in der Kurzfassung so:

Sonnengöttin Amaterasu hatte vorgesehen, dass ihr Sohn auf die Erde hinabsteigen und dort herrschen solle. Dieser sah jedoch das Chaos auf der Welt und weigerte sich. Stattdessen schickte er seinen Sohn Ninigi. Um ihn für seine Aufgabe zu wappnen, gab Amaterasu ihm drei Gaben mit: einen Spiegel, ein Schwert und ein Juwel, heute bekannst als die drei Reichinsignien Japans.

Streetart in Hiroshima: ein Drache im japanischen Stil.
Streetart in Hiroshima: ein Drache im japanischen Stil.

Auf der Erde verliebte sich Ninigi bald in eine junge Frau, zog aber den Zorn deren Vaters auf sich, woraufhin dieser die Nachkommen Ninigis dazu verfluchte, menschlich zu sein. Dies ist die Erklärung dafür, warum die nachfolgenden Kaiser zwar himmlischer Abstammung waren, aber dennoch nur ein kurzes Menschenleben lebten. Aus der Verbindung von Ninigi und seiner Frau Sakuya-hime entstanden drei Söhne, der jüngste wurde Hoori genannt.

Hoori lieh sich von seinem älteren Bruder einen Angelhaken, verlor ihn aber. Auf der Suche danach landet er im Palast des Wasserdrachens und verliebt sich in dessen Tochter Toyotama-hime. Die beiden heiraten und Meeresgott Ryūjin hilft Hoori sogar, den Angelhaken wieder zu finden. Nach drei Jahren im Palast begibt das junge Paar sich an Land.

Ein häufiges Motiv sind furchterregende Drachen, aus deren Mäulern das Wasser für temizuya Schreinbrunnen gespeist wird.
Ein häufiges Motiv sind Drachen, aus deren Mäulern das Wasser für temizuya Schreinbrunnen gespeist wird.

Als Toyotama-hime schwanger wird, bittet sie ihren Mann darum, während der Geburt nicht hinzusehen. Hoori tut es natürlich doch und erblickt so seine Frau in ihrer Gestalt als Seemonster. Empört zieht sie sich ins Meer zurück, das Kind bleibt auf der Erde und wird von ihrer Schwester großgezogen. Amme und Zöging verlieben sich später und haben einen Sohn: Jimmu – der erste Kaiser Japans.

Dies ist nur eine Version der Geschichte. Abwandlungen gibt es viele, mal werden andere Namen genannt, mal eine Generation ausgelassen. Doch eins ist klar: der japanische Kaiser kann seinen Stammbaum auf eine Verbindung zwischen Nachfahren Amaterasus und des Drachenkönigs zurückführen.

Die drei Reichsinsignien Japans

Die drei Gaben, die Sonnengöttin Amaterasu ihrem Enkel Ninigi mitgab, um auf der Erde zu herrschen, werden bis heute im Ise-jingu Schrein, dem Atsuta-jingu Schrein und dem Kaiserpalast aufbewahrt und verehrt. Oder so heißt es zumindest. Sehen dürfen die drei Throninsignien nämlich nur der Kaiser und einige ausgewählte Priester.

Ich vor einem neu aufgebauten Schrein in Ise.
Ich vor einem neu aufgebauten Nebenschrein in Ise.

Der Spiegel stammt aus dem Mythos, in dem Amaterasu sich eines Tages beleidigt in eine Höhle zurückzog. Unter anderem mit Hilfe des Spiegels konnte sie wieder herausgelockt werden. Ihrem Enkel Ninigi gab sie mit auf den Weg, dass der Spiegel wie sie selbst verehrt werden sollte. Deshalb siehst du in Schreinen heute oft Spiegel im Heiligtum stehen.

Die beiden anderen Insignien stehen im Zusammenhang mit mythischen Drachenwesen: Das Schwert fand Windgott Susanoo als er wie oben beschrieben den achtköpfigen Drachen Yamata no Orochi in Stücke hackte. Die Waffe befand sich im Leib des Tieres. Später überreichte Susanoo das Schwert als Geschenk an Amaterasu, wodurch sie es an Ninigi weiterschenken konnte.

Das Juwel überkreuzt sich in vielen widersprüchlichen Geschichten mit zwei Steinen, die Ryūjin die Macht verliehen, Ebbe und Flut zu kontrollieren. In einer Legende wurde Amaterasus Juwel vom Drachenkönig gestohlen und unter Einsatz ihres Lebens von einer mutigen Apnoe-Taucherin – Prinzessin Tamatori – zurückgeholt.

Prinzessin Tamatori holt das Juwel von Amaterasu vom Drachengott zurück. (Foto: Utagawa Kuniyoshi auf Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Utagawa_Kuniyoshi_Tamatori_escaping_from_the_Dragon_King.jpg CC0 1.0)
Prinzessin Tamatori holt das Juwel von Amaterasu vom Drachengott zurück. (Foto: Utagawa Kuniyoshi auf Wikimedia Commons CC0 1.0)

Drachen spielen also an vielen Stellen in der japanischen Mythologie und damit auch der Geschichte des Kaiserhauses eine entscheidende Rolle. Im shintō gibt es bis heute Schreine, an denen der Meeresgott verehrt wird. Auf jeden Fall musst du dich bei deinem nächsten Schreinbesuch nicht wundern, dass Drachen hier nicht feuer- sondern wasserspeiend dargestellt werden.

Quellen und weiterführende Links

Yabai: The Japanese Dragon – Myths, Legends, and Symbolisms

Wikipedia: Watatsumi

World History Encyclopedia: Ryujin

World History Encyclopedia: Ninigi

Religion in Japan: Imaginäre Tiere

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2 Kommentare zu “Drachen und das japanische Kaiserhaus

  1. Cool! Das wusste ich alles noch nicht! Wieder was gelernt!

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