Ein Ring aus Blutgras. Was nach einem epischen Gegenstand aus der Diablo-Computerspielreihe klingt, ist in Wahrheit etwas, das dir vor allem bei einer Reise nach Japan Ende Juni begegnen wird. Dann stellen shintoistische Schreine im ganzen Land mannshohe aus Schilf oder Gräsern geflochtene Ringe auf, sogenannte chinowa (茅の輪). Sie laden dazu ein, hindurch zu schreiten. Wie genau du das chinowa kuguri (茅の輪くぐり) genannte Ritual am besten machst und welchen Effekt das mit sich bringen soll, erkläre ich dir heute.
Inhalt dieses Artikels
Geflochtene Ringe – ein Geschenk der Götter
Die Existenz der chinowa-Ringe ist bereits in Unterlagen aus der Nara-Zeit (710–794) dokumentiert. Ihr Ursprung jedoch liegt noch viel weiter zurück in einer Legende aus Japans mythologischen Anfängen:
Als der Wind- und Meeresgott Susanoo-no-Mikoto von den Menschen als solcher unerkannt durchs Land zog, bat er eines Abends einen Dorfbewohner um Unterkunft. Dieser verweigerte ihm den Gefallen. Stattdessen bot der ältere Bruder des Mannes, Somin Shorai, seine armselige Hütte an. Aus Dankbarkeit über die Gastfreundschaft verriet derkami dem mitellosen Mann, wie er sich und seine Familie vor Krankheiten schützen könne. Indem sie einen Ring aus Schilfgras an der Hüfte tragen. Somin Shorai beherzigte den Rat und lebte ein gesundes und glückliches Leben.
Um welche Art Schilfgras es sich nun genau handelt, ist regional unterschiedlich. Mal ist es Blutgras, mal chinesisches Schilf, mal silbernes Pampasgras. Aber eines ist überall gleich: dem Ring werden mittlerweile viel mehr Fähigkeiten zugeschrieben als ursprünglich.
Reinigung und Segen im Halbjahrestakt
Idealerweise durchschreitest du den Ring am 30.06., am letzten Junitag. Je nach Schrein werden die chinowa aber schon einige Zeit davor aufgestellt und auch die ersten Julitage über noch stehen gelassen.
Gehst du also hindurch bekommst du eine ganze Menge göttlicher Gaben auf einmal: dir werden deine Missetaten des ersten Halbjahres vergeben, du wirst spirituell gereinigt und erhältst zu guter letzt Schutz und Glück für die kommenden sechs Monate. Deshalb wirst du die Ringe vereinzelt auch zu Neujahr wieder sehen.
Natürlich schlenderst du nicht einfach nur so durch den Ring. Stattdessen läufst du mehrfach hindurch, umkreist ihn einmal links, einmal rechts und noch einmal links herum, sodass eine imaginäre liegende Acht entsteht.
Das sieht dann ungefähr so aus:
Sich den chinowa-Segen so zu holen ist der Standard. Aber natürlich gibt es auch lokale Bräuche, die davon abweichen. So soll manchmal nebenher ein Spruch aufgesagt werden. Am Ōmiwa-jinja-Schrein in Nara müssen gleich drei Ringe aus verschiedenen Materialien in der korrekten Reihenfolge abgelaufen werden. In Izumo, der Heimat von kami Susanoo-no-Mikoto gibt es eine Variante, wo du dir zwei Büschel Gras über die Schulter legst und dann über eine Art aus Schilf geflochtenem Springseil hüpfst, das ein Priester für dich hält (Fotos davon kannst du hier sehen).
Hier kannst du chinowa-Ringe während einer Japanreise im Juni sehen
Hast du Lust bekommen, dir selbst den Segen der Götter abzuholen? Hier sind ein paar Schreine, an denen rund um den 30.06. ein chinowa aufgestellt wird:
Tōkyō:
- Tōkyō Dai-jingū-Schrein
- Kanda Myōjin-Schrein
Kyōto:
- Kitano Tenman-gū-Schrein
- Heian-jingū-Schrein
- Fushimi Inaria-taisha-Schrein
Ich persönlich mag den Gedanken, dass man zur Jahresmitte kurz inne hält, um zurück zu blicken und sich auf die kommenden Monate vorzubereiten. Würdest du einen chinowa durchschreiten, wenn dir bei deiner Japanreise Ende Juni oder zum Jahreswechsel einer begegnet?
Quellen und weiterführende Links zum Thema „chinowa“
Sakura House: Leben in Japans Traditionen: Chinowa kuguri
The Mainichi: What is the ‚chinowa kuguri‘ Shinto purification rite? (engl.)
Xperience Japan: Chinowa-Kuguri, passing through a hoop ceremony (engl.)
Maido: What is a Chinowa? Japanese Summer Traditions (engl.)
HugKum: 茅の輪くぐりとは? 2023年はいつ? 唱え詞や茅の輪くぐりができる神社をチェック (jap.)
出雲大社教:輪くぐり神事 (jap.)
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