Direkt am Bahnhof Bandō geht es los. Eine grüne Linie am Boden führt zielsicher zur ersten Station der 88-Tempel-Wallfahrt auf Shikoku. 850 Meter bis zum Ryōzen-ji-Tempel. 850 Meter fühle ich mich wie ein Pilger.
Tatsächlich bin ich das nicht. Weder trage ich die typischen weißen Klamotten und den flachen, breiten Hut, noch habe ich einen Gehstock, das spezielle Sutrenbuch für die Wallfahrt oder osamefuda-Namenskärtchen, die ich an allen Orten zurücklassen könnte, an denen ich unterwegs war.
Vieles davon könnte ich am Ryōzen-ji-Tempel erwerben. Als offizieller Tempel Nummer 1 auf der Liste der 88-Tempel ist man hier auf Pilgerneulinge eingestellt. Aber ich bin heute nur als stiller Beobachter hier. Und habe größten Respekt vor all jenen, die gerade zu ihrer persönlichen Pilgerreise aufbrechen. Oder sie gerade beenden. Denn auch dann ist es Sitte, an den Ryōzen-ji zurückzukehren.
Die 88-Tempel-Wallfahrt von Shikoku
„Ich bin dann mal weg“ auf Japanisch. Das ist die shikoku hachijū hakkasho-Wallfahrt (四国八十八箇所), bei der Pilger insgesamt 88 Tempel auf Japans kleinster Hauptinsel Shikoku besuchen. Im Volksmund spricht man auch von der henro (遍路) und bei den Pilgern von den o-henro-san (お遍路さん).
Zurück geht die Wallfahrt auf den Mönch Kūkai (774–835), der den Shingon-Zweig des japanischen Buddhismus begründete. Alle angepilgerten Tempel hängen irgendwie mit seinem Leben zusammen oder soll er selbst besucht haben.
Zu Fuß umfasst der Pilgerweg circa 1.200 Kilometer und nimmt je nach Fitness und Gehgeschwindigkeit zwischen 30 und 60 Tagen in Anspruch. Mittlerweile ist es aber auch üblich, Teile davon mit Verkehrsmitteln wie Bus, Bahn und Auto zurückzulegen. Oder auch nur einen Teil der Strecke zu machen.
Anfang und Ende der Reise
Selbst die Reihenfolge, in der die 88 Tempel besucht werden, wird nicht allzu streng genommen. Manche Pilger glauben sogar, dass es besonderes Glück bringt, die Pilgerreise in entgegengesetzter Reihenfolge, also von Tempel 88 zu Tempel 1 anzutreten.
Die Tradition verlangt es allerdings, dass die Pilger sowohl am Anfang als auch am Ende der henro den Ryōzen-ji, also Tempel Nummer 1, in Bandō besuchen. Deshalb kann es sein, dass dir hier bei deiner Japanreise sowohl Wallfahrer begegnen, die gerade erst zu Ihrer Reise antreten, oder diese beenden.
Besonders motivierte Pilger nehmen zusätzlich die Mühen auf sich und statten dem heiligen Berg kōya-san nahe Ōsaka einen Besuch ab. Wieso das? Weil Mönch Kūkai diesen als heiligen Ort erwählte und seine letzten Lebensjahre dort verbrachte.
Ich beobachte, wie Pilger sich verbeugen und beten, Namenszettel in dafür vorgesehene Boxen werfen und Räucherstäbchen entzünden. Irgendwann einmal würde ich die henro auch gerne machen. Doch auch, wenn ich den Ryōzen-ji schon kenne, werde ich selbstverständlich dorthin zurückkehren und meine Reise dort beginnen und hoffentlich auch wieder beenden. Irgendwann.
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