Diese Geschichte beginnt an einem sonnigen Mittwochnachmittag am Izumo-taisha. Es ist nicht unüblich, dass auf dem Gelände von Tempeln und Schreinen regelmäßig Flohmärkte stattfinden. Du kannst dir vorstellen, dass mir jedes Mal die Augen überquellen, wenn ich durch die Stände streife. Alte, getöpferte Teeschalen, nicht mehr getragene Kimonos und abgeblätterte Anime-Action-Figuren…für jeden Japanliebhaber ein Traum.
Bei einem netten Pärchen habe ich bereits zwei kleine, runde Keramikdosen mit Deckel erstanden, die eigentlich zum Verbrennen von Räucherwerk verwendet werden (bei mir dienen sie mittlerweile als Schmuckdöschen). Da fällt mein Blick auf ein rot-blau-gelbes Blechschild. Wow, denke ich mir, wie cool ist das bitte. An den Ecken hat der Lack schon etwas gelitten und eine Stelle ist geknickt. Mit anderen Worten: es hat richtig Charme. Ich kaufe es, der Verkäufer muss schallend lachen, als ich auch noch anfange zu handeln. Aber hey, ich bin eine alte Flohmarktgängerin. Das gehört dazu.
Nachdem ich das Schild gekauft habe, kommt mir noch der Gedanke zu fragen, was eigentlich dadurch beworben werden sollte. Die Kanji verarbeitet mein Gehirn gerade nicht. Aber so cool wie das Design ist, ach, ich frage den Händler einfach: „Was steht da eigentlich? Ist es Werbung für ein Getränk?“ Wieder ernte ich schallendes Gelächter. Wie sich herausstellt habe ich gerade ein altes Werbeschild für Socken gekauft.

Immersion – Japanisch lernen 24/7
In den letzten Jahren erfreut sich das Sprachenlernen durch „Immersion“ großer Beliebtheit, vor allem bei Japanisch. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Idee, zu Hause eine Umgebung zu schaffen, die möglichst nahe an den Aufenthalt in dem Land heran kommt, dessen Sprache erlernt wird. Das heißt: wer beginnt, Japanisch zu lernen, hört nur noch Japanisches Radio, googelt auf Japanisch, schaut japanische Serien, schreibt den Einkaufszettel auf Japanisch…du bekommst einen Eindruck, was ich meine. Manche gehen sogar so weit, dass sie noch Podcasts laufen lassen, während sie schlafen. Japanisch 24/7 also.
Es ist nicht zu leugnen, dass einem das Erlernen einer Sprache wesentlich leichter fällt, wenn man sich auch in dem entsprechenden Land befindet. Vor allem bei Sprachen mit anderen Schriftsystemen spielt die dauerhafte Präsenz der fremden Zeichen eine große Rolle.
Von meiner Zeit an der Sprachschule kann ich dies nur bestätigen. Erst gestern wurde mir auf Facebook ein altes Statusupdate von mir als Erinnerung angezeigt. Es war auf Japanisch und ich konnte es auf Anhieb nicht lesen. Mein Niveau war vor elf Jahren nach neun Monaten Leben in Japan wesentlich höher als es jetzt ist. Einfach weil die Umgebung eine andere ist und somit die ununterbrochene Übung fehlt. Die Immersion eben.

Kanji-Blockade – wenn das Gehirn streikt
Die Sache mit der Immersion klappt für mich allerdings nur bedingt, wenn ich Japan bereise. Bis zum Ende des Urlaubs merke ich durchaus eine Steigerung, aber es gibt da auch zwischenzeitlich einen anderen Effekt: mein Gehirn streikt und verarbeitet selbst die einfachsten Kanji nicht. Zum Beispiel für Socken. Oder Museum.
So war es beim Bild der Woche. Ein Antiquitätengeschäft dass ich in Hōfu fotografiert hatte. Oder ist es eins? Als ich in Google Maps auf die Suche danach ging und nicht fündig wurde, fiel mein Blick auf die Kanji über der Tür. Ein Museum über das Leben in Japan während der Shōwa-Zeit.(1926–1989). Wie genial! Und ich hatte es nicht kapiert, als ich davor stand. Die Kanji-Blockade hatte mal wieder zugeschlagen.
Ich glaube dieses Problem haben viele Japanischschüler. Hat man eine Seite mit japanischem Text vor sich, wird der Kopf überlastet und schaltet auf stur. Da hilft nur durchatmen und dann Zeichen für Zeichen, Satz für Satz anzugehen. Der alte Straßenkehrer Beppo im Buch „Momo“ von Michael Ende erklärt es so, wenn er eine scheinbar unendlich lange Straße vor sich hat: „Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“
Und davon abgesehen sollten wir alle nicht so streng mit uns sein. Das Museum besuche ich eben bei der nächsten Reise in die Gegend. Und das Werbeschild für Socken macht sich ganz wunderbar in meiner Wohnung an der Wand. Dass es beinah nicht in die Koffer gepasst hätte, ist allerdings eine andere Geschichte. Und soll ein andermal erzählt werden.
Weiterführende Links
Geprägt wurde das Thema „Immersion“ im Kreis der Japanischlernenden von „All Japanese All The Time„, kurz AJATT.
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Vielen Dank für die Erleuchtung. Ich habe mich gefragt, was wohl hinter dem Bild steht/steckt und habe auch versucht zu entziffern, was das heute so sein soll…. Über „Showa“ kam ich nicht hinaus. Meine rudimentären Kenntnisse und der abgestürzte Übersetzer waren wenig hilfreich. Ich freue mich jede Woche über Deine Hintergrundinfos. Mach‘ bitte weiter so.
Liebe Elli, vielen Dank für das liebe Feedback.
Wortwörtlich bedeuten die Kanji „Shōwa-Halle“. Das Kanji 館 von „Halle“ ist das selbe wie das letzte von „Museum“ 博物館.
Jetzt kommt es mir so logisch und klar vor xD Als ich davor stand hingegen…