Auf den ersten Blick zeigt das Bild der Woche einfach nur einen Teeladen in Kawagoe in der Präfektur Saitama. Ein ganz normales japanisches Geschäft, in dem man Grüntee kaufen und auch trinken kann. Ein paar leichte Mittagsgerichte gibt es auch im Angebot.
Schaut man etwas länger hin, fällt einem auf, wie viel Japan mal wieder in einem einzigen Bild stecken kann. Zum Beispiel durch den roten noren-Vorhang vor der Tür des Ladens. Oder der typischen Neujahrsdekoration darüber. Oder aber auch der schönen Holzverkleidung des Gebäudes, gegen die sich prägnant die runden Holzrahmen abheben, an denen die Speisekarte angebracht ist.
Naja, und dann ist das noch das ausgeblichene, von Rissen durchzogene Werbeschild für Kaffee. Es scheint symbolisch für den Stellenwert von Kaffee in ganz Japan zu stehen. Dem Land des Grüntees. Ein Land Teetrinkender, in dem es doch keine Platz für eine eigene Kaffeekultur geben kann. Oder etwa doch?
Wie der Kaffee nach Japan kam
Kaffee ist in Japan schon sehr lange bekannt. Zunächst als Medizin verwendet, wurde er schon bald zum Genussgetränk. Dies ist den Niederländern geschuldet, Japans einzigen Handelspartnern während der Edo-Zeit (1603 – 1868), in der Japan komplett von der Außenwelt abgeriegelt war. Nur auf der kleinen Insel Dejima vor Nagasaki war es den Europäern erlaubt japanischen Boden zu betreten und Handel zu betreiben. Und sich mit japanischen Prostituierten zu vergnügen, denen sie das bittere, braune Getränk zum Geschenk machten.
Das erste belegte Kaffeehaus „Kachiichakan“ öffnete 1888 in Tōkyō seine Pforten, 1907 entstand die erste Kaffee-Kette „Paulista“ in Ōsaka. Während andere kulturelle Importe wie der Esstisch oder Anzüge als stark westlich empfunden wurden, integrierten die Japaner Kaffee schnell in ihre eigene Kultur und machten sich das heiße Getränk zu eigen.
Heute ist Japan der viertgrößte Kaffeekonsument der Welt und hat diverse indigene Kaffee-Franchise-Ketten wie Doutor oder Komeda.
Coffee-to-go und Kaffee-Ketten in Japan
Wortwörtlich überall und auch am entlegensten Winkel in der freien Natur bekommt man in Japan Kaffee aus den allgegenwärtigen Getränkeautomaten. Es gibt kalte Varianten, aber meistens ist er tatsächlich heiß und poltert einem in einer kleinen Aluminiumflasche aus dem Ausgabeschlitz des Automaten entgegen. Dieser „Kaffee“ ist weit von dem entfernt, was man in Deutschland kennt, doch gehört er irgendwie zum Lieblingsland dazu.
Immer weiter verbreitet ist es, sich seinen Morgenkaffee aus dem konbini (Convenience Stores wie „Seven Eleven“ oder „Family Mart“) zu holen. Entgegen dem, was man von einem Coffe-to-go erwarten mag, ist guter Kaffee den Japanern wichtig und das erstreckt sich auch auf den aus den rund um die Uhr geöffneten Mini-Supermärkten. Die einzelnen Ketten feilen an eigenen Kaffesorten-Mischungen und Röstmethoden. Wer also nicht gleich 500 Yen plus für seinen Latte bei Starbucks lassen möchte, kann konbini-Kaffee eine Chance geben.
Das Stichwort Starbucks ist bereits gefallen und nur ein Beispiel für die vielen Ketten, die sich auf das Kultgetränk spezialisiert haben. Wobei Starbucks und Japan eine besondere Liaison eingegangen sind: während es bei uns gefühlt mit Pumkin Spice Latte und ein, zwei Weihnachtsmarkt-Spezialkaffees nur wenige saisonale Starbucks-Getränke gibt, präsentiert das Unternehmen aus Seattle in Japan alle paar Wochen neue Kreationen. Ob zum chinesischen Neujahr, Valentinstag oder zur Kirschblüte. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, kunstvoll verzierte Kaffeevariationen zu veröffentlichen, die zu Schlangen vor den Geschäften führen. Passend dazu gibt es dann auch immer neue Tassen- und Thermoskannen-Kollektionen, die sich im Höchsttempo verkaufen.
Weitere große Ketten sind Doutor, Pronto, Excelsior, Tully’s und St Marc.
Third Wave of Coffee & Treffpunkt Kaffeehaus
Als Gegenpol dazu hat die sogenannte „third wave of coffee“ – die dritte Kaffeewelle – Japan erreicht und es entstehen kleine spezialisierte Cafés, bei denen besonderen Wert auf jeden einzelnen Arbeitsschritt gelegt wird. Sie gehören keinen großen Franchises an, sondern sichern sich ihren Marktanteil durch hohe Qualität und das oftmals minimalistisch, hippe Ambiente.
Guter Kaffee wird in Japan fast immer mit händisch übergossenem Filterkaffee gleichgesetzt. Der Einsatz einer Maschine, um Kaffee herzustellen, widerspricht dem japanischen Gedanken der Meisterschaft, die man durch viel Übung erlangt. Immer wieder sieht man auch die Siphon-Niederdruck-Methode im Einsatz, die Endes des 19. Jahrhunderts noch die gängige Methode zum Kaffeebrauen in Japan war.
Wer weniger moderne und lieber urige Atmosphäre beim Kaffeetrinken möchte, sucht sich am besten ein kissaten 喫茶店, wortwörtlich eine Teetrinkstube, die aber fast immer auch gleichzeitig Kaffeehäuser sind. Oft wird dort zum Kaffee geraucht, Zeitung gelesen, sich unterhalten. Ein sozialer Treffpunkt für alle Generationen.
Only in Japan: Kaffee-Besonderheiten
Den japanischen Dosenkaffee aus den Automaten hatte ich oben bereits erwähnt. Ein weiteres beleibtes Getränk im Hochsommer ist Eiskaffee. Allerdings wird hier nicht wie bei uns Eiscreme ins Getränk gemischt, sondern starker, schwarzer Kaffee wird mit Eiswürfeln serviert. Um ihn zu süßen bekommt man sogenannten „Gum Syrup“ oder „Gomme Syrup“ dazu, einen flüssigen Sirup, der sich im kalten Kaffee leichter auflöst als Kristallzucker. Die Verpackung erinnert an die von Kondensmilch bei uns.
Und dann gibt es da noch die Kultur des „Morning Service“, also des Morgenservices. Eine Tradition, die in Nagoya geboren wurde, und vor allem von Pendlern auf dem Weg ins Büro genutzt wird. Dabei bekommt man zur morgendlichen Tasse Kaffee vergünstigt oder zum Teil kostenlos Toast mit Ei oder roter Bohnenpaste (zum Beispiel bei Kodema’s Coffee).
Japan hat das Getränk Kaffee völlig in seine Kultur integriert und dem Ganzen obendrein seinen ganz eigenen Stempel aufgedrückt, wie die Starbucks-Aktionen oder der Morning Service zeigen. Betrachtet man mit diesem Hintergrundwissen das Bild der Woche noch einmal, steht das ausgeblichene Plakat weniger dafür, dass Kaffee keinen Platz im Land des Grüntees hätte. Vielmehr ist er schon so lange Teil der Trinktradition, dass das Werbeschild dort nur einfach schon sehr lange hängt. Und auch noch sehr lange hängen wird, denn der Kaffee ist aus Japan nicht mehr wegzudenken.
Quellen und weiterführende Links
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Toller Artikel. Danke dir.
Freut mich sehr, wenn er dir gefallen hat :)
Liebe Elisa, ich habe genauso viel Liebe für dieses Land übrig wie du. Ich danke dir für die schönen und informativen Dinge die du hier bereitgestellt hast. Es ist jedes Mal eine Freude , davon zu lesen. Und für mich persönlich ist es, als würde ich mich währenddessen tatsächlich in Japan befinden. Mach weiter so, liebe Grüße Corinna
Liebe Corinna, ich kann mich nicht genug für dein Lob bedanken!
Ich liebe deine Seite. Super Bericht.
Vielen vielen Dank für das Lob ?♀️