Die Tür zum Bad öffnet sich. Eine alte, japanische Frau betritt langsam den Raum und schiebt mit etwas Mühe die Holztüre wieder hinter sich zu. In ihren Händen trägt sie ein paar wenige Badeutensilien: Seife, Shampoo, ein kleines Handtuch. Zielstrebig steuert sich auf einen der freien Waschplätze zu, die sich an den beiden Wänden links und rechts des Badebackens befinden. Sie kennt den Weg, denn sie war schon unzählige Male in ihrem Leben hier. Im Dōgo Onsen Honkan – Japans ältestem Badehaus.
Das Alter der Frau vermag ich nicht zu schätzen. Ist sie vielleicht eine der vielen über Hundertjährigen in Japan? Es könnte sein. Ihr Haut ist faltig, die Gelenke knorrig und ihr Körper ist ab der Hüfte aufwärts fast in einem Neunzig-Grad-Winkel nach vorne gebeugt. Kaum hat sie auf einem der kleinen Holzschemel Platz genommen und den Wasserhahn betätigt, der einen Zuber aus Zedernholz vor ihr bis knapp unter die Kante füllt, eilt auch schon eine der anderen Frauen zu ihr. Die beiden schnattern, lachen gemeinsam und die jüngere wäscht der älteren den Rücken. Man kennt sich.
Dōgo Onsen – ein Badeort mit 3.000 Jahren Geschichte
Ich rühme mich damit, in Japans ältestem Badehaus gebadet zu haben. Ob es tatsächlich so ist (also das mit dem Alter, ich war wirklich da) sei dahin gestellt. Angeblich hat der kleine Ort voller heißer Quellen, der mittlerweile ein Stadtteil der Präfekturhauptstadt Matsuyama ist, eine mehrere Jahrtausende zurückreichende Geschichte.
Sicher ist, dass Dōgo Onsen schon verdammt alt ist. Gemeinsam mit Arima Onsen in der Präfektur Hyōgo und Nanki-Shirahama Onsen in Wakayama gehört der Kurort zu den „Drei alten Quellen“ Japans (nihon san kotō 日本三古湯), die bereits in den frühesten japanischen Mythen erwähnt werden.
Dōgo Onsen besteht aus vielen kleinen Bädern und Geschäften, durch die Gäste in ihren Baumwoll-Yukata schlendern und eine Auszeit vom hektischen Alltag nehmen. Was es aber so besonders macht, ist das Dōgo Onsen Honkan – das älteste und herausragendste Badehaus im Ort.
Das Dōgo Onsen Honkan – ein Bad für den Kaiser und Inspiration für Hayao Miyazaki
Das Dōgo Onsen Honkan ist der Stoff, aus dem Träume und Filme entstehen. Knarzende Dielen, verwinkelte Treppen, Räume mit Tatami-Matten und Mineralienablagerungen vom heißen Quellwasser. Kein Wunder, dass man munkelt, es sei die Vorlage für das Badehaus in Hayao Miyazakis Studio-Ghibli-Film „Chihiros Reise ins Zauberland“* gewesen.
Das jetzige Gebäude stammt aus dem Jahr 1894 und hat über 125 Jahre auf seinem hölzernen Buckel. Auf drei Stockwerken befinden sich diverse Bade- und Ruheräume, ein Teil davon exklusiv für die japanische Kaiserfamilie.
Das sogenannte Yushinden 又新殿 im östlichen Teil des Gebäudes ist für normale Badegäste tabu. Zumindest ein Bad darin. Eine Besichtigung ist gegen einen Aufpreis zum regulären Eintritt möglich. Vorausgesetzt natürlich, das Yushinden ist nicht gerade in Benutzung. Das ist allerdings schon sehr lange nicht mehr vorgekommen. 1952 nahm hier das letzte Mal ein japanischer Kaiser ein Bad. Also wenn ich an seiner Stelle wäre…
Selbst einmal wie der japanische Kaiser baden
Wenn du dich selbst einmal wie ein Teil der japanischen Kaiserfamilie fühlen möchtest, solltest du im 2017 eröffneten Nebengebäude Asuka-no-Yu vorbeischauen. Der Baustil dieses Badehauses, das ebenfalls im Besitz der Betreiber des Dōgo Onsen Honkan ist, wurde angelehnt an Häuser der Asuka-Zeit (538–710). Denn laut alten Mythen besuchten zu der Zeit der legendäre Prinz Shōtoku Taishi (574–622) und Kaiserin Kōgyoku (594–661) die Gegend, die heute als Dōgo Onsen bekannt ist.
Dort gibt es eine Replik des Yushinden, dem kaiserlichen Bad. Gegen das nötige Kleingeld kannst du den Raum für 90 Minuten mieten. Wichtig dabei: entgegen der üblichen Norm badest du hier nicht nackt. Du bekommst spezielle Badekleidung gestellt, die sich auf Japanisch yuchō nennt. Denn das Zeremoniell bestimmt, dass auch der Kaiser nicht nackt badet.
Ort der Legenden
Aber wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet Dōgo Onsen Prinzen und Kaiser*innen anzieht? Es gibt neben der lang zurückreichenden Historie einen weiteren Grund, warum vor allem das Dōgo Onsen Honkan-Badehaus so beliebt ist. Zwei Legenden erzählen davon, beide enthalten mehr oder weniger die gleiche Geschichte: das Wasser dort hat heilende Wirkung.
Einmal wird eine Gottheit, die vermeintlich dem Tod geweihtes, wieder gesund. In der anderen Story badet ein Reiher sein verletztes Bein, bis es abgeheilt ist. Der Reiher ist, als Figur verewigt, auf dem rot beleuchteten Turm des Haupthauses zu sehen. Der genesene Gott hat angeblich einen Stein hinterlassen, der sich bis heute in Dōgo Onsen befindet.
Online habe ich an mancher Stelle gelesen, dass sich ein Besuch bei einer Japanreise gar nicht lohnt, weil die Baderäume selbst klein und verhältnismäßig unspektakulär sind. Dieses Empfinden teile ich nicht. Allein an die alte japanische Dame und die jüngere, die ihr den Rücken wusch, muss ich oft denken. Dieses Gefühl der Gemeinschaft, das nur durch Tradition und Beständigkeit entstehen kann, gehörte für mich genauso zum Erlebnis wie die knorrige Atmosphäre des Hauses.
Deshalb habe ich mir jetzt auch von Natsume Sōseki das Buch „Botchan“* bestellt. Es ist einer der populärsten Romane in Japan und spielt eben genau dort, in Dōgo Onsen, wo der Protagonist gerne ins Badehaus geht. Ich bin gespannt, wie sehr sich das Ganze seit Erscheinen des Romans 1906 verändert hat. Aber ich vermute, gar nicht so sehr.
Quellen und weiterführende Links
JNTO: Dogo Onsen
Matcha: Dogo Onsen in Matsuyama: Experience a Legendary Bathhouse! (engl.)
Japan Today: Dogo Onsen: Have a relaxing soak in Japan’s oldest bathhouse (engl.)
Matsuyama Travel: Dogo Onsen Honkan (engl.)
Dōgo Onsen – Offizielle Website (engl.)
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