Man nehme in Japan eine Katze…dann muss man nur warten, bis die ersten Passanten sich um das Tier sammeln. Es wird gestreichelt, liebevoll geflüstert und fotografiert. Spätestens seit dem Internet ist klar, dass Katzen die Welt beherrschen (gut, den Ägyptern war das schon Jahrtausende vorher klar). Doch die Katzenliebe nimmt in Japan wirklich erstaunliche Ausmaße an. Kein Wunder, dass das Konzept Katzencafé Anfang der 2000er dort einschlug wie ein Bombe, diverse Eilande mit hohen Fellnasenpopulationen sich als Katzeninseln rühmen, Katzen als Bahnhofsvorsteher ganze Verkehrsbetriebe retten und teilweise an Schreinen als Gottheiten verehrt werden. Kaum vorstellbar, dass bei so viel Zuneigung mehrere Zehntausend Streunerkatzen im Jahr getötet werden.
Japans Streunerkatzen
Seit Jahren hat Japan ein Streunerkatzenproblem. Die Ursachen sind vielschichtig, nur ein Bruchteil der Katzen waren ursprünglich Haustiere. Manche wurden ausgesetzt, andere mussten bei einem Katastrophenfall zurückgelassen werden, weil in den Notunterkünften keine tierischen Familienmitglieder erlaubt waren. Vor allem aber werfen Katzen mehrfach im Jahr Junge und vermehren sich so exponentiell. Laut dem japanischen Umweltministerium kann ein einziges unsterilisiertes Tier über den Zeitraum von drei Jahren die Streunerkatzenpopulation um 2.000 Exemplare erhöhen.
Richten die Katzen schaden an oder stören die Anwohner anderweitig, werden sie gemeldet, gefangen und in den meisten Fällen nach kurzer Zeit in einer Auffangstation getötet. Es fehlen Platz und Mittel, die Tiere längerfristig zu versorgen.
Das Problem mit japanischen Zoogeschäften
Dem gegenüber stehen ca. 200.000 neu in Tierläden gekaufte Katzenbabies im Jahr. Ein grausames Geschäft, weil die Kleinen nur einen kurzen Zeitraum lang niedlich genug sind, um sich gut zu verkaufen, und die Bedingungen sowohl vor Ort als auch schon davor beim Züchter meist suboptimal sind.
Die Dunkelziffer, wie viele der Katzenbabies aus der optimalen Verkaufsspanne herausgewachsen sind und dann anderweitig beseitigt werden, ist unbekannt. Doch es genügen schon die offiziellen Zahlen, wie viele der Tiere durch Stress, Verletzungen und Krankheit ums Leben kommen. 2018 waren es 2,8 % bei Hunden und 3,2% bei Katzen. Klingt nicht viel, lässt sich aber in 25.000 im Zoohandel verstorbene Jungtiere (Hunde und Katzen gesamt) übersetzen.
Die Niedlichkeit der Jungiere dient dazu, Impulskäufe zu fördern. Doch das hat seinen Preis, weil viele Käufer sich nicht gut genug überlegt haben, ob sie das Tier wirklich halten können und wollen. Vor allem über viele Jahre hinweg.
Lösungsansätze für das Problem mit japanischen Streunerkatzen
Japan und Tierwohl ist ein heikles Thema, dem ich kritisch gegenüber stehe, seit ich meinen ersten Zoo in Japan besucht habe. Aber auch wenn das Lieblingsland hier noch dringend Nachholbedarf hat, gibt es in den letzten Jahren gute Lösungsansätze. Unter anderem vorangetrieben durch die Olympischen Sommerspiele 2020.
Dachte man vor der Coronapandemie noch an riesige Touristenmassen während der Spiele, feilte man im Büro der Gouverneurin von Tōkyō fleißig an einem Imagewandel der japanischen Hauptstadt. So zum Beispiel die Idee, keine Erotikhefte mehr offen in Convenience Stores zu verkaufen. Denn was sollten die ausländischen Besucher denken? Und 60.000 getötete Streunerkatzen im Jahr – auch nicht gut fürs Ansehen.
TNR-Programme – Streunerkatzen steriliseren statt töten
So gingen neue sogenannte TNR-Programme an den Start. Die Abkürzung steht für Trap (einfangen), Neuter (sterilisieren/kastrieren), Return (wieder aussetzen). Die Idee dabei ist, nicht wie bisher in blindem Aktionismus einen Teil der Tier einzufangen und zu töten, da die Population sich innerhalb kürzester Zeit wieder stabilisiert und weiter wächst. Stattdessen wird das sterilisierte (und in der Regel auch gleich geimpfte und gechipte) Tier wieder freigelassen und behauptet daraufhin weiter seinen Platz im Revier. Die unendliche Vermehrungsspirale aber ist unterbrochen.
Trotz Kritik am hohen Kostenfaktor dieses Vorgehens sprechen die Ergebnisse für sich. Und Gouverneurin Koikes Versprechen, Tōkyō zu einer Stadt zu machen, in der keine Katzen mehr getötet werden, hat sie bereits 2018 erfüllt.
Bleibt nur zu hoffen, dass der Rest Japans sich ein Beispiel daran nimmt. Die Seite des japanischen Umweltministeriums zeigt aktuell leider nur die Zahlen bis inklusive 2019. Doch seit 2004, als noch 238.929 Katzen landesweit in Tierheimen getötet wurden, ist die Zahl bis 2019 immerhin auf 27.108 gesunken.
Aufklären, vermitteln, gesetzlich regeln
Während die TNR-Programme eine verbesserter Ansatz zur Symptombehandlung ist, besteht die Hauptaufgabe jedoch darin, Tierbesitzer in Japan und solche, die es werden wollen, besser zu unterstützen.
Dies muss zum einen in Form von Informationen und Aufklärung geschehen, was richtige Tierhaltung angeht. Zum anderen in Form von strengeren Regelungen für Tierzüchter und Zoohandlungen. Bis 2019 wurden die jungen Hunde und Katzen viel zu früh von ihren Müttern getrennt, da sie sich so jung und niedlich am besten verkaufen. Allerdings hat dies oft Verhaltensstörungen zur Folge, die wiederum die Chance für das Tier erhöhen, ausgesetzt oder im Tierheim abgegeben zu werden. Wohin dies führt, wissen wir ja nun.
Doch auch hier gibt es zum einen gute Nachrichten (ein entsprechendes Gesetzt wurde im April 2019 verabschiedet) und neue Bestrebungen wie zum Beispiel die Smartphone App „Nekotarō“, über die Leute mit Haustierwunsch Streunerkatzen adoptieren, Katzensitter finden und sich Hilfe von erfahrenen Katzenbesitzern holen können.
Auch einige der nach wie vor beliebten Katzencafés haben sich auf Streunerkatzen spezialisiert und vermitteln so, dass es zum Liebhaben nicht unbedingt ein kleines Rassekätzchen aus dem Zoogeschäft sein muss.
Schnitt im Ohr oder Schreinkatze? Glück gehabt
Wenn du bei deiner nächsten Japanreise einer Streunerkatze begegnest, siehst du sie nun vielleicht mit anderen Augen. Hat sie einen Schnitt im Ohr, hat sie die Strapazen einer TNR-Maßnahme hinter sich. Und dadurch Glück gehabt.
Auch rund um Schreine und Tempel schnurren dir gerne mal ein paar Fellnasen um die Beine, weil sie dort ein neues zu Hause gefunden haben. Manchmal werden sie einfach nur durch regelmäßiges Füttern am Leben erhalten. Hin und wieder aber maunzen sie sich auch in das Herz des Priesters und helfen irgendwann sogar tatkräftig beim Verkauf der Glücksbringer mit.
Gut so, hat doch der Großteil der Japaner ein großes Herz für Katzen.
PS: Nach den grausligen Zahlen etwas Balsam für die Seele nötig? Der Debütroman „Das Geschenk eines Regentages“ von „Your Name“-Regisseur Makoto Shinkai erzählt vier miteinander verwobene, wunderbare Katzen-und-ihre-Menschen-Geschichten. Zu meiner Rezension.
Quellen und weiterführende Links
The Japan Times: Campaign targets Japan’s stray cat problem
環境省_統計資料 「犬・猫の引取り及び負傷動物の収容状況」 動物の愛護と適切な管理 (Zahlen des jap. Umweltministeriums zu in Tierheimen abgegebenen und getöteten Hunden und Katzen)
犬猫、流通中に年2.6万匹死ぬ ペットショップ・業者:朝日新聞デジタル (Zahlen in einem Artikel der Asahi Shinbun zu toten Katzen und Hunden im Tierhandel)
動物の殺処分ゼロを達成|東京都 (Bericht der Stadt Tōkyō zum erreichen der null getöteten Streunerkatzen)
Zenbird: Animal welfare app Nekotaro helps match feral cats and foster parents
The Hangry Stories: Streunerkatzen in Japan
TOKYO ZEROキャンペーン (Tokyo Zero Campaign zum Erreichen besserer Tierschutzmaßnahmen)
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Hallo Elisa
„… hat doch der Großteil der Japaner ein großes Herz für Katzen.“
Leider nicht, was ich so mitbekomme. Katzen füttern ist verpönt und was „man“ in Japan nicht als OK erachtet, d.h. wer nicht im Strom der Ja-Sager und Obrigkeitshörigen schwimmt, wird geächtet.
In unserer Nachbarschaft hat es ein Vollidiot welcher seinen Garten geschützt hat, als müsse er ihn gegen die Wagner-Gruppe verteidigen; so mit Stacheldraht und scharfen Eisenzacken. Und hier geht es vorsätzlich darum einer Katze Schaden zuzufügen.
Ich habe das letzte Mal als ich in Japan war 7 Katzen einfangen lassen um sie zu operieren. Ein Weibchen dass mit seinen Jungen zu uns kam haben wir schon früher gefangen und kastrieren lassen.
Und seit einem Monat kommt eines der Jungen nicht mehr zum Fressen; ich habe Angst, dass irgend so ein verdammtes Schwein ihm was angetan hat.
Wir haben mit einer älteren Frau gesprochen welche seit 12 Jahren ‚ihre‘ 3 Streuner füttert und sie hat echt Probleme mit einigen Nachbarn.
Doch nebst dem gibt es doch noch einige Leute die Katzen lieben. So z.B. Obdachlose, welche häufig dort wo sie sind Katzen füttern, auch bei gewissen Pärken sind Leute unterwegs die sich um die Katzen kümmern. Habe eine Frau getroffen, die seit Jahren jeden Abend 40min mit dem Zug unterwegs ist, um danach Katzen zu füttern.
Leider gibt es zu wenige Organisationen welche das TNR Programm oder generell Katzen in Not unterstützen. Hier in Nagoya ist mir eine Katze über den Weg gelaufen, welche aussah als würde sie nicht mehr lange überleben. Ich habe im Internet gesucht und etwa 5 Organisationen/Gruppen angeschrieben und niemand konnte helfen.
Es ist eben nicht alles Gold was glänzt, aber als Tourist bemerkt man solche Sachen nicht.
Beste Grüsse
Hans-Jürg
Ich habe es, als ich in Japan gelebt habe, anders erlebt und dafür in Deutschland ähnliches wie du schilderst :( Fazit: überall gibt es Menschen, deren Einstellung gegenüber Tieren ich nie nachvollziehen können werde. Toll, was du für die Tiere hier tust, das zeichnet dich wirklich aus.