Kyōto und ich sind uns seit jeher spinnefeind. Das fand ich selbst sehr unangenehm, schließlich reden wir hier von Japans Stadt mit dem höchsten Kulturgut, den meisten Tempeln und Schreinen, Schönheit an jeder Ecke … nur Letzteres blieb mir sehr lange verborgen. Die vielen, vielen Touristen sind es, dachte ich mir, ironisch bewusst, dass ich selbst einer davon war. Selbst als ich die Stadt während der Pandemie dann quasi für mich allein hatte, änderte das nichts an meiner geringen Liebe für Kyōto. Bis ich dieses Jahr wieder dort war. Und endlich verstand, was ich bisher „falsch“ gemacht hatte.
Inhalt dieses Artikels
Kyōto ist anders, als man denkt
Bei meinem ersten Japanaufenthalt war ich, man kann es nicht anders sagen, reichlich naiv. Mein Wissen über das Land und seine Kultur war bei weitem noch nicht so groß wie heute. Das meiste, was ich dachte, über Japan zu wissen, hatte ich beim Schauen von Animes aufgeschnappt.
Ein romantisiertes Bild von Kyōto lebte in meinem Kopf und der erste Besuch war eine regelrechte Enttäuschung. Sollte es hier nicht aussehen wie vor 200 Jahren, sobald man aus dem Zug purzelt? Was war das für eine moderne Stadt mit Unmengen an Verkehr und dennoch viel zu schlecht ausgebautem öffentlichem Nahverkehr? Wo waren all diese Schreine und Tempel, wo die Geishas und Priester, die durch kleine Gassen huschten? Spoiler Alert: Ich wusste einfach nur noch nicht wohin.


Im Rahmen eines Tagesausflugs mit dem Seishun 18 Kippu besuchten wir den Goldenen Pavillon und Kiyomizu-dera-Tempel. Ansonsten erinnere ich mich nur an graues Regenwetter und überfüllte Busse.
Heute weiß ich, dass Kyōto viele dieser bezaubernden Ecken hat, die genau so aussehen, wie ich mir damals die ganze Stadt vorgestellt hatte. Aber natürlich handelt es sich um eine moderne Großstadt mit Autos, Shoppingmeile und einem der modernsten Bahnhöfe Japans. Die Zeit ist hier nicht stehen geblieben.
Kyōto ist genau so, wie man denkt
Nichtsdestotrotz hat Kyōto sich unglaublich viel Charme alter Zeiten erhalten. Im Vergleich zu Tōkyo, Ōsaka und Nagoya zum Beispiel sucht man große Wolkenkratzer im Stadtbild vergebens. Das hat auch seine Gründe: Die Stadtverwaltung möchte einen traditionellen Flair erhalten und Gebäude, die höher als 20 bis 25 Meter sind, dürfen in weiten Teilen des Orts nicht gebaut werden. Einzig der markante Kyōto Tower am Bahnhof überragt alle umliegenden Gebäude.
Obwohl ich sonst ein leidenschaftlicher Verfechter des öffentlichen Personennahverkehrs in Japan bin, rate ich in Kyōto vor allem von den Bussen ab. Diese sind immer stickig und überfüllt, manchmal kommt man nicht mal rein und muss auf den nächsten warten. Oder den übernächsten. Davon, welche Belastung dies für die Anwohner darstellt, wollen wir mal gar nicht reden. Wie kommt man also von A nach B? Am besten mit dem Fahrrad. Nicht nur kommt man so schneller voran, auch lässt man die großen Verkehrsstraßen links liegen und fährt stattdessen durch Reihen traditioneller Stadthäuser. Ah, hier sieht Kyōto plötzlich exakt so aus, wie ich mir das vorgestellt hatte.

Dazu verteilen sich über 2.000 Tempel und Schreine über die Stadt, die es zu entdecken gilt. Diese bleiben auf den ersten Blick oft verborgen, weil viele davon hinter dicken Mauern versteckt liegen. Nimmt man sich aber erst einmal Zeit, das Auge schweifen zu lassen, macht man sie plötzlich überall ausfindig, bleibt spontan stehen und geht auf Erkundungstour.

Wer langsam geht, kommt schneller ans Ziel
Sich Zeit nehmen ist überhaupt die magische Formel, um Kyōto richtig genießen zu können. Und war für mich der Schlüssel, die Stadt zum ersten Mal so richtig zu genießen. Und das verdanke ich meinem Papa.
Wer mir länger folgt oder mich persönlich kennt, weiß, dass ich auf Reisen scheinbar unbegrenzt Energie habe, um Sehenswürdigkeit nach Sehenswürdigkeit zu besuchen. Zu erkunden, zu erforschen, unermüdlich Neues zu entdecken. Ich bekomme nie genug von neuen Orten und möchte mehr mehr mehr sehen. Entsprechend voll sind meine Reisetage. Und die meiner Mitreisenden.
Die Japanreise im März diesen Jahres gemeinsam mit meinem Vater hat meine Herangehensweise geändert. Wir haben weit weniger gemacht, als ich allein in Angriff genommen hätte, und dennoch stellte sich ein Gefühl von mehr ein. Und am stärksten war dieses Gefühl in Kyōto.

„Wenn du es eilig hast, gehe langsam“ lautet die lockere Übersetzung eines japanischen Sprichworts, das wortwörtlich übersetz heißen würde: „Wenn du es eilig hast, mache einen Umweg“ (isogaba maware, 急がば回れ). Und selten habe ich die Bedeutung besser verstanden.
Gemeinsam standen wir auf der Holzterrasse des Kiyomizu-dera-Tempels und schauten langsam der Sonne dabei zu, wie sie unterging, während Licht für Licht Kyōto sein nächtliches Gesicht zeigte. Ich hatte uns den Berg raufgesprengt. „Schnell, Papa, wenn wir den Kiyomizu noch sehen wollen, dann müssen wir da jetzt durch.“ Mein Papa aber behielt die Ruhe weg und meinte nur „Du wirst sehen, wir schaffen es rechtzeitig und kommen noch rein.“
Und plötzlich war Kyōto anders
Wie klappte meine Kinnlade nach unten, als wir wenige Minuten vor letztem Einlass die letzten Stufen hoch keuchten und ich feststellen musste, dass ein Sonderevent stattfand. Der Kiyomizu war an diesem Tag länger geöffnet. Plötzlich hatten wir alle Zeit der Welt. Und wenn man diese Ruhe in sich findet, stört es einen auch auf einmal nicht mehr, dass Hunderte andere sich ebenfalls gerade auf dem Tempelgelände aufhielten. Ich hatte Entschleunigung gefunden. Wir waren in unserer eignen kleinen Zeitblase und erlebten Kyōtos vor Besuchern fast berstende Hauptattraktion tiefenentspannt.

Und den gleichen Effekt erlebte ich auch an anderen überlaufenen Stellen in der Stadt, was mir einen neuen Blick und ein neues Gefühl für Kyōto gab. Lang hat es gedauert, bis ich nachvollziehen konnte, warum jeder, den ich kenne, absolut begeistert aus der alten Kaiserstadt zurückkehrt. Aber von nun an werde auch ich Kyōto mit mehr Liebe begegnen. Und insgesamt versuchen, etwas langsamer zu gehen. Um schneller ans Ziel zu kommen.

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Hallo Elisa, zuerst ein dickes Lob für Deine vielen interessanten Blog´s! Ich schaue immer wieder gerne hier rein, meistens dann, wenn eine Japan-Reise wieder ansteht, oder wenn einfach nur das Fernweh drückt.
Bei diesem speziellen Kyoto-Beitrag kann ich nicht anders, als einige Zeilen loszuwerden.
Schon beim Titel stutze ich, und nach ein paar Sätzen war ich sogar eher erleichtert, denn mir ging es ganz ähnlich. Viele Bekannte fanden Kyoto spontan immer ganz großartig – wenn man den Touristen-Massen bei den Hotspots mal absieht. Deshalb hatte ich schon an mir gezweifelt.
Obwohl mir Kyoto besonders aus kulturhistorischer immer besonders wichtig war, hatte ich anfangs echt mit der Stadt zu kämpfen. Natürlich völlig subjektiv empfand ich Kyoto als relativ „gestelzt“, aufgesetzt und arrogant. Viel Touristen-Nepp in nettem Ambiente und gepfefferten Preisen, die Leute eher distanziert und weniger freundlich. Mir fehlte hier irgendwie der Smalltalk, welcher sich z.B. in kleinen Läden in Tokyo – aus meiner Sicht – viel selbstverständlicher ergab.
Aber ich bin dem ÖPNV in Kyoto sehr dankbar! Der Blick auf Google Maps offerierte oft 16 min (überfüllter) Bus oder 23 min laufen. So entdeckte ich vieles eher „nebenbei“. Hier eine Stein-Stele, da ein Hinweisschild, und was für ein interessantes Gebäude ist das? Schau Dir nur die riesigen, schlanken Körper der Karpfen an, wie sie mit ihrer Nase in der Strömung des flachen Kamo stehen! So wurden aus 23 Minuten gerne auch anderthalb Stunden. Oder noch besser, man verpasst vor lauter Entdecken vollends die Zeit, und es schließen sich vor einem die Türen des eigentlichen Ziels, während man entsetzt auf die Uhr schaut.
Es ist sowieso etwas, mit dem ich in Japan auf Kriegsfuß stehe: das traditionelle Japan spielt sich hauptsächlich zwischen 9:00 und 17:00 Uhr ab. Wenn es dunkel wird, ist abseits der Neon-blink-blink-Viertel der Tag in Japan zu Ende.
Oder man besucht den Inari Taisha einfach mal jenseits des Tages. Dann, wenn die Myriaden von Touristen verschwunden sind, nur hier und da Liebespärchen, einige Jogger, welche die hunderten von Stufen zur Stärkung ihrer Fitness nutzen. Dann könnte vielleicht mal ein Wildschwein im Gebüsch rascheln, oder man fragt sich, ob das maunzende Etwas im Dunkeln mit großen schwarzen Augen eine echte Mietze ist, oder doch vielleicht kleiner Katzen-Dämon vergangener Zeiten, der einem vom Weg weglocken möchte. ;-)
Der Inari Taisha zu später Stunde ist atemberaubend. Genauso viele Straßen und Gassen der Stadt, wenn die Meisten erschöpft vom Tagesprogram im Hotel hocken.
Wie Du schreibst, erschließt sich einem ein ganz besonders, zauberhaftes Kyoto, wenn man es durch entschleunigen zulässt. Es war für mich keine Liebe auf den ersten Blick, aber letztendlich hat mich die Stadt doch schwer erwischt. „Hass-Liebe“ trifft es ganz gut. Man will sich eigentlich nicht wieder darauf einlassen, weil der Abschied immer weh tut. Aber Kyoto hat mich gnadenlos um den Finger gewickelt.
Was für schöne Gedanken zu dem Thema. Man merkt dir deine (Hass-)Liebe richtig an :)
Und ich finde, auch wenn man Japan liebt, muss man nicht jeden Ort gleich toll finden. Das wäre unrealistisch. Und Kyōto ist wirklich Geschmackssache, wobei am Ende jeder der Stadt was abgewinnen kann.
Ich habe sie jetzt für die nächste Reise doch auch wieder auf die Liste gesetzt. Irgendwie geht’s ja doch nicht ohne ;) Dieses Mal mache ich aber wirklich Alternativprogramm: mit dem Rad durch enge Gassen und zu Schreinen und Tempeln, die nicht von den Massen überrannt sind. Das wird sicher schön.
Liebe Elisa,
habe eben erst gesehen, dass du mir geantwortet hast und mich sehr darüber gefreut 🥰
Was Japan angeht, haben wir auf jeden Fall etwas gemeinsam, ich bin auch ganz schön Japan-vernarrt, wenn man bedenkt, wie oft ich schon dort war. Es gab eine Zeit, da war ich 1-2 Mal pro Jahr dort 😅
Und ja, in Kyoto gibt es echt so unglaublich viel zu sehen. Ich bin total froh, dass ich so einiges davon bereits gesehen habe, als es noch nicht so überlaufen war (das erste Mal in Kyoto war ich 2006).
Da fällt es einem natürlich leichter, an eher unbekanntere Orte zu gehen.
Aber gerade der Kiyomizu und der Kinkaku-ji sind halt einfach total schön, deswegen werde ich da sicher nochmal hingehen, wenn es sich ergibt 😊
Und bis dahin werde ich mir noch so einige Burgen, Gärten, Schreine und Tempel anschauen…
Liebe Grüße
Tamara
Was für ein schöner Beitrag, vielen Dank dafür! 🥰
Ich war im März auch in Japan und ich kann das gut nachvollziehen, es gibt so viel zu sehen und die Zeit ist so kurz!
Kyoto haben wir auch besucht, aber wegen der vielen Touristen nur einen Tag und haben uns Tempel gesucht, die nicht so überfüllt waren.
Wir waren beim Kenninji Tempel, beim Yasui Kompiragū Schrein und beim Kodaiji Tempel. Vor allem letzter hat mir gut gefallen. Zum Kiyomizu möchte ich aber auch echt gerne mal wieder …
Liebe Grüße, Tamara
Liebe Tamara,
danke, dass du dir Zeit genommen hast zu antworten.
Den Yasui Kompira-gū mag ich auch total gern. Besonders, nicht so überlaufen, und wenn es einen danach packt, kann man immer noch hoch zum Kiyomizu.
Leider muss man sich in Kyōto immer entscheiden, es gibt viel zu viel zu sehen und man schafft nie alles.
Dafür umso schöner, dass man immer noch was für die Zukunft auf der Liste hat :D
Viele Grüße
Elisa
Liebe Elisa,
habe eben erst gesehen, dass du mir geantwortet hast und mich sehr darüber gefreut 🥰
Was Japan angeht, haben wir auf jeden Fall etwas gemeinsam, ich bin auch ganz schön Japan-vernarrt, wenn man bedenkt, wie oft ich schon dort war. Es gab eine Zeit, da war ich 1-2 Mal pro Jahr dort 😅
Und ja, in Kyoto gibt es echt so unglaublich viel zu sehen. Ich bin total froh, dass ich so einiges davon bereits gesehen habe, als es noch nicht so überlaufen war (das erste Mal in Kyoto war ich 2006).
Da fällt es einem natürlich leichter, an eher unbekanntere Orte zu gehen.
Aber gerade der Kiyomizu und der Kinkaku-ji sind halt einfach total schön, deswegen werde ich da sicher nochmal hingehen, wenn es sich ergibt 😊
Und bis dahin werde ich mir noch so einige Burgen, Gärten, Schreine und Tempel anschauen…
Liebe Grüße
Tamara
Mir ging es so mit Paris. Ich hatte meine romantisierte Vorstellung davon und dann regnete es an dem Tag, alles war abgesperrt, es wirkte voll und dreckig. Ich war auch erst einmal enttäuscht, habe mir aber fest vorgenommen noch einmal hinzufahren und mir mehr Zeit für die Stadt zu nehmen. Ähnlich verhält es sich mit Dublin.
Ich hatte das auchs chon mit mehreren Städten. Prag zum Beispiel, dann war es schrecklich überfüllt undd ie Altstadt voller Touri-Geschäfte.
Aber manchmal braucht man ein paar Anläufe. Und das gute an Paris ist, dass du „zur Not“ einfach wieder ins Disneyland abbiegst. :D
Danke Elisa für deinen Beitrag.
Du bringst mir jedes mal den Japan näher wenn ich drinen News Letter sehe.
Vielen Dank das du das tuest. Ich schätze es sehr 🥰🌿
Liebe Marinella,
ich danke dir, dass du mir so liebes Feedback gibst. Da macht das alles hier gleich noch viel mehr Spaß. 🤗