Orakel wurden am Heain-jingū-Schrein in Zweige gebunden.

Heian-jingū in Kyōto – vom Ausstellungsstück zum Schrein

Strahlend rot überspannt das riesige Schreintor des Heian-jingū-Schreins in Kyōto die Straße. Es gehört zu Japans größten und lässt bereits auf die Weitläufigkeit des Schreins schließen. Prächtig, beeindruckend, all diese Worte schießen mir in den Kopf, die bei altehrwürdigen Schreinen eben so passend erscheinen. Doch der Heian-jingū ist gar nicht so alt. Und ein Schrein war er ursprünglich auch nicht. Vielmehr der verzweifelte Versuch, Kyōto als Stadt wieder attraktiv zu machen, nachdem die Hauptstadt Japans nach Tōkyō verlegt worden war. Die ganze Geschichte:

Das Schreintor des Heian-jingū misst über 24 Meter und ist eines der größten in ganz Japan.
Das Schreintor des Heian-jingū misst über 24 Meter und ist eines der größten in ganz Japan.

1895 – Kyōto versucht sich attraktiv zu machen

Es ist heute kaum noch vorstellbar, dass Kyōto Ende des 19. Jahrhunderts in der verzweifelten Lage war, sich für Besucher attraktiv machen zu müssen. 

Über 1.000 Jahre lang von 794 bis 1868 (mit einer klitzekleinen sechsmonatigen Unterbrechung im Jahr 1180) war die damals noch Heian-kyō genannte Stadt der Sitz des japanischen Kaisers. Gezielt zum Schutz vor Taifunen in einem Talkessel erbaut, orientierte man sich strukturell am Schachbrettmuster der chinesischen Hauptstadt der Tang-Dynastie Chang’an – eine Residenz also, die wahrlich einem Kaiser und seinen Untertanen würdig war.

Heian-kyō entwickelte sich zum kulturellen und spirituellen Zentrum des Landes und war namensgebend für eine ganze Epoche. Daher war es ein herber Schlag für den Ort, als er seinen Status als Hauptstadt Japans durch die Meiji-Restauration 1868 verlor. Alle Augen richteten sich von nun an auf die neue Landeshauptstadt Tōkyō.

Die Austragung einer nationalen Industrieausstellung sollte deshalb Besucher nach Kyōto locken. Das Jahr des Ausstellung 1895 war dabei sehr symbolträchtig, da es das 1.100-jährige Bestehen der Stadt markierte.

Zwei klassische Farben dominieren am Heian-jingū-Schrein: Rot und Grün.
Zwei klassische Farben dominieren am Heian-jingū-Schrein: Rot und Grün.

Eine Palastreplik entsteht … und wird zum Schrein

Für die nationale Industrieausstellung fuhr Kyōto mit fantastischen Neuerungen auf:

Die erste mit Strom betriebene Straßenbahn Japans brachte die Besucher von Shichijo zum Ausstellungsgelände und verlief noch weiter bis zum Biwa-See-Kanal.

Zum ersten Mal sahen die Leute ein Aquarium, bei dem man nicht wie bisher von oben die Fische beobachtete, sondern von der Seite einen Einblick in deren Treiben bekam. 

Maler Seiki Kuroda wagte es, ein Bild auszustellen, bei dem eine Frau nackt gezeigt wurde.

Der Nachbau des Otemon-Tor des Kaiserpalasts ist heute das Eingangstor des Heian-Schreins.
Der Nachbau des Otemon-Tor des Kaiserpalasts ist heute das Eingangstor des Heian-Schreins.

Und als großes Glanzstück entstand eine Replik des Kaiserpalastes der Heian-Zeit (794–1185) im Maßstab 5:8 – der heutige Heian-jingū-Schrein.

Nach der Ausstellung wurde das Ausstellungsstück in einen Schrein umgewandelt. Der jeweils erste und letzte Kaiser amtierende Kaiser von Heian-kyō sind die verehrten Gottheiten: Kanmu-tennō (737–­806) und Komei-tennō (1831–1866). Zusätzlich entstand über 100 Jahre hinweg, maßgeblich unter der Aufsicht von Ogawa Jihei (1860–1933), ein sehenswerter Garten auf dem Gelände des Heian-jingū.

Auf den Dachfirsten des Heian-jingū kann man sogenannte „shachihoko“ entdecken – mythische Fischfiguren, die gegen Brände helfen sollen.
Auf den Dachfirsten des Heian-jingū kann man sogenannte „shachihoko“ entdecken – mythische Fischfiguren, die gegen Brände helfen sollen.

Der Heian-jingū-Schrein heute

Das Schreingelände ist sehr großzügig angelegt.
Das Schreingelände ist sehr großzügig angelegt.

Der Heian-jingū-Schrein gehört zu den meistbesuchten Schreinen in Kyōto. Markant sind das 24 Meter hohe torii, das Eingangstor, das ein Nachbau des Otemon-Tors des alten Kaiserpalastes ist, und die große Kiesfläche, um die sich die Hauptgebäude des Schreins aufreihen.

Überall lassen sich die chinesischen Einflüsse auf die Architektur der Heian-Zeit entdecken.

Wie an allen Schreinen kannst du dir hier einen Eintrag ins Pilgerbuch (ein go-shuin) holen, Orakel ziehen und Glücksbringer kaufen. Bei meinem Besuch Ende Juni gab es zusätzlich die Möglichkeit, ein furin-Windspiel aufhängen zu lassen. Vor dem Otemon-Tor war ein Grasring aufgestellt, der für ein Reinigungsritual zum Halbjahr verwendet wird.

Die Taiheikaku-Brücke im Garten des Heian-Schreins in Kyōto. (Foto: Wei-Te Wong auf flickr https://flic.kr/p/n4LLFz CC BY-SA 2.0)
Die Taiheikaku-Brücke im Garten des Heian-Schreins in Kyōto. (Foto: Wei-Te Wong auf flickr, CC BY-SA 2.0)

Egal zu welcher Jahreszeit ist der ausschweifende Garten einen Besuch wert, der allerdings ein paar Euro Eintritt kostet. Rund um einen zentralen See angelegt, spiegeln einzelne Teile des Gartens unterschiedliche Epochen in der Geschichte Japans wieder. Vor allem beliebt sind die Kirschbäume, die eher zum Ende der Saison im April blühen.

Quellen und weiterführende Links zum Heian-jingū-Schrein

JNTO: Heian-jingu-Schrein
Jakyo: Heian-Jingu-Schrein in Kyoto
Heian-jingū-Schrein: Offizielle Website (engl.)
Expositions: Fourth National Industrial Exhibition (engl.)


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