Laute Flattergeräusche durchbrechen den Wind und blenden fast das Geräusch des Wassers aus. Hunderte bunter Karpfenflaggen scheinen über einem Fluss in der Luft zu schwimmen. Es ist Mai in Japan und pünktlich zum Kindertag werden Privathäuser wie öffentliche Plätze mit den windsackartigen Fahnen geschmückt. Und vielerorts die Bäche und Flüsse. Ein einmaliger Anblick mit langer Tradition. Die Geschichte der sogenannten koinobori 鯉のぼり geht weit zurück.
Die Geschichte der koinobori-Karpfenflaggen
Koinobori schmücken Japan im April und Mai. Sie gehören zu den Feierlichkeiten rund um den Kindertag (kodomo no hi こどもの日) am 5. Mai. Dieser gesetzliche Feiertag beschließt die Golden Week, eine Aneinanderreihung von mehreren freien Tagen, an denen viele Japaner auf Reisen gehen.
Beide Geschlechter berücksichtigt der Kindertag allerdings erst seit 1948. Davor galt er als „Knabenfest“ und stellte das Pendant zum „Mädchenfest“ oder „Puppenfest“ (hinamatsuri 雛祭り) am 03. März dar.
Alte Feiertage aus der Nara-Zeit als Grundlage
Wie lange die Tradition des Jungenfest genau zurückgeht, ist nicht belegt. Allerdings beruhen die Feierlichkeiten auf einem als tango no sekku 端午の節句 bekannten Fest, das in der Nara-Periode (710–794) seinem Datum zugeordnet wurde. Es war eines von fünf wichtigen Daten (sekku 節句, dt.: Jahreszeitenfest) im Jahr, die alle auf ungerade Schnapszahl-Daten fielen: 1. Tag des 1. Monats, 3. Tag des 3. Monats, 5. Tag des 5. Monats, 7. Tag des 7. Monats, 9. Tag des 9. Monats. Durch das Datum negativ behaftet war die Idee hinter den sekku, der schlechten Energie durch Feierlichkeiten entgegenzuwirken.
Klingt nach Aberglauben? Liest du im „Kopfkissenbuch“ der Hofdame Sei Shōnagon von vor über 1.000 Jahren bekommst du einen Eindruck davon, wie stark das alltägliche Leben durch Weissagungen, glücks- oder eben unglücksverheißende Tage und Omen bestimmt war. Auch heute versuchen viele Japaner sich zum Beispiel gegen gewisse Unglücksjahre im Leben durch Rituale und Glücksbringer zu schützen.
Kalenderwechsel
Bevor Japan 1873 den westlichen gregorianischen Kalender übernahm, war die Zeitrechnung an den chinesischen Mondkalender angelehnt. Daher bei den fünf sekku-Festen die umständliche Beschreibung mit dem wievielten Monat des Tages. Doch genau das steckt im Namen des Vorläufers der Kindertags. Das erste Wort von tango no sekku beinhaltet „Anfang“ und „Pferd“.
Das Pferd ist eines der chinesischen Tierkreiszeichen und stand stellvertretend für den fünften Monat des Mondjahres. Da das Pferd nicht nur für einen Monat, sondern auch für Tage der Woche stehen konnte, fanden die Feierlichkeiten also genau genommen am ersten Tag des Pferds im Monat des Pferds statt. Als es darum ging einen Tag für das Jungenfest nach gregorianischer Zeitrechnung festzulegen, wurde aus dem fünften Mondmonat fix der Mai, und der erste Tag des Pferdes durch die Aussprache go, die im Japanischen der von „fünf“ entspricht, der 5. Mai.
Traditionen zum Jungenfest und die ersten koinobori
Zum Jungenfest gibt es viele alte Traditionen, die sich seit Jahrhunderten halten. So werden zum Beispiel Samurai-Puppen und -helme ausgestellt. Gegessen wird mochi-Reiskuchen, der in ein Eichenblatt gewickelt wurde (kashiwa mochi 柏餅).
Eine wichtige Rolle spielen auch Iris, die im Mai blühen. Nicht nur erinnert ihre Wuchsform an ein Schwert der Samurai, auch kann ihr Name 菖蒲 im japanischen wie shōbu ausgesprochen werden. Genauso klingt die Aussprache von 勝負, auf Deutsch „Wettkampf“. Früher wurden Jungen beim Jahreszeitenwechsel vom Winter zum Frühling in heißem Wasser mit Irisblüten gebadet.
Die ersten Karpfenfahnen zum Knabenfest wurden zur Mitte der Edo-Zeit (1603–1868 ) hergestellt. Fahnen haben in Japan eine lange Tradition als Kennzeichnung auf dem Schlachtfeld, um deutlich zu kennzeichnen, wer welcher Seite angehörte.
Karpfen als Tier spielen in asiatischen Kulturen schon lange eine wichtige Rolle. Man sehe sich nur einmal an, zu welchen Preisen bis heute bestimmte koi gehandelt werden. Eine chinesische Legende besagt, dass ein Karpfen, der es schafft, einen Wasserfall hinauf zu schwimmen, zum Drachen wird. Dementsprechend ist ein Karpfen ein glücksverheißendes Symbol.
Die Bedeutung der koinobori-Fahnen
Wie sich das Datum und der Name des Feiertags wandelten, veränderte sich auch die Bedeutung der wehenden Karpfenflaggen. Urpsprünglich standen sie stellvertretend für den Vater und jeden Sohn im Haushalt. Der größte, schwarze Karpfen symbolisierte das Elternteil, ein roter den erstgeborenen Sohn, weitere Farben nachfolgende Söhne.
Mit der Zelebration aller Kinder veränderte sich das Verständnis für die Bedeutung der koinobori-Fahnen. Gleich geblieben ist die Symbolik des schwarzen Karpfens als männliches Familienoberhaupt. Die zweite Flagge jedoch steht mittlerweile für die Mutter und wird zudem oft in rosa statt rot verkauft. Alle weiteren Karpfen sind stellvertretend für alle Kinder der Familie, egal ob Junge oder Mädchen.
Wann und wo kannst du koinobori in Japan sehen?
Rund um den fünften Mai sind Karpfenflaggen in Japan allgegenwärtig, auch wenn die Zahl in den letzten Jahren aufgrund der sinkenden Geburtenrate abgenommen hat. Du entdeckst sie auf Spaziergängen durch Wohngebiete, aber auch an viele öffentlichen Plätzen. Besonders oft in der Nähe von Gewässern.
Sie werden in der Regel bereits im April angebracht und bleiben auch nach dem 5. Mai noch eine Zeit lang hängen. Gut für uns Japanreisende, ist eine Reise nach Japan ausgerechnet zur Golden Week ja nun nicht die beste Idee, weil viele Hotels und Züge ausgebucht sind.
koinobori kaufen
Hast du Lust bekommen, dir selbst ein paar Wind-Karpfenflaggen für deinen Balkon oder Garten als Dekoration zu holen? Noch habe ich keine Kinder, aber sobald es soweit ist, dürfen mit Sicherheit ein paar flatternde koinobori hier einziehen. Es gibt über amazon als Set mit* oder ohne Stange* und auch einzeln* zu kaufen. Auch sehr süß für den Koffer auf Reisen: ein Wäschesack im koinobori-Look*. 😍
Mittlerweile hat sich der Mai längst zu meiner Lieblingsreisezeit für Japan gemausert. Weil es herrlich grün ist, überall etwas blüht und ja, auch weil die majestätischen Wind-Karpfen ihre Bahnen in der Luft ziehen dürfen.
Quellen und weiterführende Links
Wikipedia: Koinobori
Wikipedia: Tango no sekku
Wikipedia: Sekku
Matcha: Tango no Sekku (Children’s Day)
Matcha: You Will See These Koinobori Carp Streamers More Often In The Future
The Wagamama Diaries: Celebrating Boys’ Samurai Spirit on Children’s Day
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Einen schönen 1. Mai wünsche ich und vielen Dank für die Erinnerung, die in den Tiefen des Schrankes schlummernde Fahne aufzuhängen!
Den wünsche ich dir auch!
Wie toll, du hast eine Fahne mit nach Hause gebracht.
Liebe elisa
Danke für diesen wunderbaren Text mit Inhalt
Als viel Reisender in Japan und Liebhaber dieses Landes suchte ich für ein Paar das bald Mama und Papa wird eine anschauliche Bedeutung für die Koinobori
Bei dir gefunden 🍀
ありがとうArigatō
Toll wie du deine Eindrücke in Worte fasst.
Cheerio
Ich danke dir für den netten Kommentar und freue mich sehr, dass mein Artikel weitergeholfen hat :D
Hallo Elisa!
Ich bin auch ein sehr großer Fan der Karpfenflaggen und sie hängen bei mir auf dem Balkon. Ich war jetzt den kompletten Juli in Japan und hab gehofft das ich direkt aus Japan welche für meine Schwester mitbringen kann, aber scheinbar gibt es die nur an oder vor den Feiertagen zu kaufen?
Hallo Isabell,
das kann gut sein. :/
Viele Artikel erhält man nur saisonal oder wenn man Glück hat in Spezialgeschäften. Vergleichbar mit Christbaumkugeln bei uns. Für koinobori wüsste ich unterm Jahr aber leider auch nicht, wo man am besten suchen muss.
Viele Grüße
Elisa