Fahrräder, soweit das Auge blickt. Ich stehe am Bahnhof in meiner temporären Heimatstadt Okazaki und bin sprachlos. Es ist 2009 und als deutsches Landei, beheimatet in einer Stadt, die sich gerade so als solche qualifiziert, habe ich noch nie etwas derartiges gesehen. 80 % aller Einwohner von Okazaki scheinen täglich mit dem Zug nach Nagoya zu pendeln. Mindestens 120% davon kommen mit dem Rad zum Bahnhof. Es gibt sogar ein eigenes Fahrrad-Parkhaus, dessen Mechanismus, zwei Räder übereinander zu verwahren, eine logistische Herausforderung für mich ist.
Ich bin in einem Land, in dem Autos in schmalen Park-Türmen meterweit übereinander gestapelt werden. Wunderte ich mich gerade wirklich?
Irgendwann schaffe dann auch ich „Jimmy“, mein Fahrrad mit luxuriösen drei Gängen, korrekt auf zweiter Ebene zu parken. Und frage mich, ob ich es jemals wiederfinden werde. Unter all den mamachari – DEM japanischen Fahrrad.
Was ist ein mamachari?
mamachari ママチャリ sind die häufigsten Fahrräder in Japan. Dabei handelt es sich nicht um eine Marke, sondern einen Typ. So wie Mountainbike, BMX oder Trekking-Rad. Der Name setzt sich zusammen aus „Mama“ und einer Kurzform von charinko チャリンコ – einem umgangssprachlichen Wort für Fahrrad.
Das „Mama“ im Namen weist schon darauf hin, dass es vom Aussehen her bei uns als Damenrad eingestuft würde, doch solch eine Engstirnigkeit kennen japanische Schüler und Büroangestellte nicht (die männliche Form ist hier wortwörtlich zu verstehen).
Das mamachari bringt in Japan alle von A nach B. Und alles. Denn ausgestattet mit ein bis zwei Körben montiert auf Gepäckträger und Lenkstange, ist es ein echtes Lastentier. Alternativ dienen ein, zwei oder zur Not auch drei Kindersitze als Ersatz für den in Deutschland mittlerweile üblichen SUV, um die Kleinen zum Kindergarten oder in die Schule zu bringen. Bis sie dann ihr eigenes mamachari bekommen.
Typisch mamachari
Ein mamachari ist ab günstigen 10.000–20.000 Yen zu haben. Und muss für den Preis einiges an Qualität mitbringen, denn in der Regel wird nicht all zu gut damit umgegangen. Ist es in Gebrauch, dann ohne Unterlass. Und ohne allzu viel Pflege. Wird es nicht mehr gebraucht … nun, dann bleibt es gern mal ein paar Jahre am Bahnhofsparkplatz stehen.
Ein mamachari ist für den täglichen Einsatz in der Stadt gedacht und dementsprechend ist es in erster Linie stabil und bequem. Der Sattel knarzt immer ein bisschen, die Bremse quietscht und mehrere Gänge werden von den meisten Herstellern als überflüssig angesehen.
Es gibt mamachari mit drei (man munkelt sogar sechs bis sieben) Gängen, aber das ist auch bei den Leihrädern, die ich in Japan bei Tagesausflügen hatte, nicht die Regel. Tatsächlich reicht der eine Gang auch völlig aus, vorausgesetzt es geht gerade dahin. Jede noch so kleinste Steigung zwingt das Rad in die Knie, beziehungsweise mich als radelnde Person.
Meinen Jimmy finde ich nach meinem Ausflug mit dem Zug nach Nagoya natürlich wieder. Im Laufe meiner Reisen sind mir dann noch viele große Fahrrad-Parkplätze begegnet. Der auf dem Bild der Woche ganz oben befindet sich zum Beispiel in Dazaifu auf Kyūshū.
Ach, wie gerne hätte ich auch in Deutschland ein knarzendes und dafür zuverlässiges mamachari. Wer weiß, ob das nicht mal ein etwas größeres Reisesouvenir wird.
Quellen und weiterführende Links
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