Ist es ein Hund? Dem Namen nach ja. Aber das, was da in Stein gemeißelt vor mir steht, sieht eher aus wie ein dämonischer Löwe. Die Rede ist von den Wächterfiguren an japanischen shintō-Schreinen namens komainu (狛犬, dt. wortwörtlich „Koreahund“), die in westlichen Sprachen gern als „Löwenhunde“ übersetzt werden. Aha, da sind also wieder zwei Tiere enthalten. Was haben wir hier denn nun tatsächlich vor uns? Löwe oder Hund? Und welche Funktion übernehmen sie genau am Schrein?

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Löwe oder Hund? Japanische Wächterstatuen am Schrein
Die wörtliche Bedeutung „Koreahund“ für komainu legt nahe, dass es sich bei den Figuren am Zugang zu japanischen Schreinen eigentlich um eine Form unserer treuen, tierischen Begleiter handeln müsste. Allerdings gleichen die Statuen in ihrem Aussehen Löwen, wie sie in der chinesischen Kunst dargestellt werden. Diese heißen im Japanischen shishi (獅子). Warum also diese Diskrepanz?
Ihren Ursprung haben die Wächterfiguren vermutlich in der Einführung des Buddhismus in Japan im 6. Jahrhundert. Damit kam wenig später auch der Brauch, hölzerne Wächtertiere am Eingang wichtiger Tempelgebäude aufzustellen. Sie waren eine Ergänzung zu den im Buddhismus bis heute üblichen, furchterregenden niō-Wächter. Diese Figuren in übermenschlicher, muskelbepackter Gestalt kannst du bis heute oft links und rechts im Eingangstor zu Tempeln sehen.

Die frühesten erhaltenen Darstellung von komainu zeigen, dass die Beschützertiere schon immer den chinesischen Löwen glichen. In Japan bekamen sie jedoch ein Add-on, beziehungsweise nur einer der beiden: ein Horn auf dem Kopf. Und genau genommen bezeichnete man nur diese der beiden Figuren als komainu. Das andere Tier galt als karajishi (唐獅子), also Chinalöwe.
Koreahund, Chinalöwe … vermutlich wollte man mit beiden Wörtern ausdrücken, dass es sich um ein Tier vom Kontinent handelt. Daher am Ende die Entwicklung hin zu einem einheitlichen Begriff. Auch das Horn ist aus der Ikonographie größtenteils wieder verschwunden.

Erst seit die Wächter vor circa 400 Jahren ihren Platz raus aus der Gebetshalle auf das Schrein- oder Tempelgelände fanden, bestehen sie aus Stein. Schlicht, um der Witterung besser zu trotzen.

Dass die komainu mit dem Buddhismus nach Japan kamen und heute aber fast ausschließlich an shintoistischen Schreinen zu finden sind, weist auf die enge Verflechtung der beiden Religionen über viele Jahrhunderte hin. Diese endete erst durch ein staatliches Edikt in 1868 zu Beginn der Meiji-Zeit, welches die Trennung von Buddhismus und shintō vorschrieb.
Anfang und Ende – ooooooom
Die komainu-Wächterstatuen treten immer paarweise aus. Da nur noch wenige Exemplare ein Horn tragen, scheinen sie identisch. Aber Halt, das sind sie nicht ganz. Wenn du genau schaust, entdeckst du je nach Alter und Künstler kleine Unterschiede bei der Mähne, den Augenbrauen und dem Körperbau. Und du kannst du fast immer (Ausnahmen gibt es natürlich) erkennen, dass das linke Tier den Mund geöffnet hat, das rechte hingegen geschlossen. Somit formen sie die Laute „a“ und „un“.


Was soll das sein, denkst du dir vielleicht. Doch a-un ist die japanische Version dessen, was wir im Deutschen als „om“ beschreiben. Die Silbe spielt unter anderem im Hinduismus und Buddhismus eine große Rolle. Sie steht für den Urklang, aus dem das Universum entstand, und wird in Mantras verwendet.
Die Silben sind nicht zufällig gewählt. Wie bei uns Alpha und Omega stehen sie für den ersten und letzten Laut im Alphabet. Anfang und Ende. Der Kreislauf der Welt.
Die gleiche Mimik findest du übrigens auch wieder bei den buddhistischen niō-Statuen.

Füchse, Schlangen und anderes Getier
Müssen es immer Löwenhunde sein? Nein, wenn du mehrere Schreine besuchst, werden dir auch andere Tierarten als Wächter der heiligen Stätten begegnen. Denn manche Götter stehen in enger Verbindung mit gewissen Gattungen, zum Beispiel der Reisgott Inari mit weißen Füchsen.

Daher sind die Statuen am Eingang zum Schreingelände beziehungsweise vor der Gebetshalle in diesem Fall dann Füchse. Und weil es noch nicht genug der Ausnahmen sind, haben diese oftmals auch noch eine Schriftrolle mit einem Sutra, einen Schlüssel oder einen runden Juwel im Maul. Alles buddhistische Symbole und wieder Hinweise sowohl auf den Ursprung der komainu als auch die Tatsache, dass Inari die meiste Zeit der Geschichte keine reine shintō-Gottheit war.
Tempel, die Bishamonten geweiht sind, werden immer durch Tigerfiguren beschützt. Benzaiten von den sieben Glücksgöttern umgibt sich mit Schlangen. Darüber hinaus sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Es gibt sogar Affen, Wildschweine, Rehe und Hühner als Wächterstatuen. Wie viele unterschiedliche findest du bei deiner Reise nach Japan?

Quellen und weiterführende Links zum Thema „komainu“
Wikipedia: Komainu (engl.)
Matcha: Komainu (Lion-Dogs) (engl.)
Jaanus: komainu 狛犬 (engl.)
Religion in Japan: Komainu
Kyoto National Museum: Become a Master of Guardian Lions and Lion Dogs (PDF, engl.)
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