Wenn noch einmal „Help“ kommt, flippe ich aus. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass wir ein Zimmer neben dem Aufzug erwischt haben, der unablässig Hotelgäste von Etage zu Etage befördert, beschallt zusätzlich noch das yakitori-Restaurant nebenan die Nachbarschaft mit Beatles-Songs. Und das fast rund um die Uhr. Zusätzlich ist mein damaliger Freund und Mitreisender mit einer Erkältung par excellence zusammengeklappt. Ich bin das erste Mal in Ōsaka und der Start ist holprig.
Heute sehe ich mich als Profi-Reisende und es wirft mich nichts so schnell aus der Bahn. Ich weiß, wie Japan funktioniert, wo ich mich informieren kann und habe Routine. Das war aber nicht immer so. Wie jeder, der noch nie dort war, wusste ich nicht, wie man von A nach B kommt und wo man sich in welcher Stadt am besten welches Hotel nimmt. Mittlerweile war ich in Ōsaka schon so oft in meinem Stamm-Toyoko-Inn, dass mein Koffer von alleine den Weg findet. Damals aber war das anders.
Auf der Karte sah das gebuchte Hotel sinnvoll gelegen aus. Nur zwei Stationen zum Hauptbahnhof. Die Shinkansen-Haltestelle Shin-Ōsaka nicht weit entfernt. Gebucht!
Als wir ankamen, sah die Situation dann etwas anders aus: ja, nur zwei Haltestellen bis Umeda, allerdings mit einer privaten Bahngesellschaft, für die der Japan Rail Pass nicht galt. Grr, also jedes Mal Tickets kaufen.
Dann ging es ratter ratter über den Fluss auf die Seite von Ōsaka, auf der jener besagte Shinkansen-Bahnhof liegt. Um zu diesem zu gelangen mussten wir allerdings jedes Mal erst ratter ratter mit der Privatbahn zurück zum Hauptbahnhof und dann mit JR wieder ratter ratter über eine andere Brücke dorthin.
An unserer Station angekommen hatten wir für den Weg zum Hotel die Wahl: zwei Straßen führten parallel dorthin. Die eine war eine überdachte Shopping-Arcade mit vielen alteingesessenen Geschäften, wo tagsüber vor allem alte Omis einkauften. Nach Einbruch der Dunkelheit war hier tote Hose. In großen Lettern prangte über dem Eingang der Name: „Friendly Street“.
Die Alternative dazu war jene andere Straße, die das genau Gegenteil dazu war und wir im Scherz „Unfriendly Street“ tauften. Bunte Neon-Schilder mit blinkenden Herzen, zwielichtige Bars, Damen mit sehr hohen Absätzen und umso kürzeren Kleidern und Männer in Anzügen mit dunklen Sonnenbrillen, die versuchten männliche Passanten in ihre Etablissements zu locken. Mir war etwas mulmig.
Endlich im Hotel eingecheckt, kroch mein Freund nur noch hustend und niesend ins Bett. Und was sollte ich mit dem angebrochenen Abend anfangen?
Einen großen Bogen um die „Unfriendly Street“ machend, bewaffnete ich mich mit meiner Kamera und begann, die Gegend zu erkunden. Steigt man im Herz der großen Städte ab, reihen sich dort Kaufhäuser an Kaufhäuser, Karaokeläden an Pachinkohallen und Büroturm an Büroturm. Hier sah die Welt ein bisschen anders aus.
Die Bahn spuckte alle paar Minuten eine Horde Pendler aus, die vielleicht direkt am Bahnhof noch schnell eine Nudelsuppe schlürften, dann aber sofort nach Hause eilten (wenn sie nicht gerade in der „Unfriendly Street“ hängen blieben). Department Stores suchte man hier vergeblich, den Einkauf fürs tägliche Abendessen erledigte man tagsüber in der „Friendly Street“.
Auf meinem Rundgang entdecke ich am Wegesrand eine kleine Jizō-Statue mit rotem Lätzchen, bevor ich zu einer der vielen Brücken über den Yodo-gawa Fluss komme. Hier herrschte geradezu Ruhe.
Ōsaka und ich blicken uns einen langen Moment an. „Na“, sage ich, „was soll das noch mit uns werden?“ Ōsaka antwortet mir mit dem „Ratter Ratter“ eines Zuges, der über die Brücke schnauft, und eine neue Ladung Pendler mit sich bringt, die hier zu Hause sind und ihren Bürotag in der Stadt hinter sich gebracht haben.
Es stimmt, die Lage des Hotels war aus der Sicht eines Reisenden nicht ideal, das Zimmer neben dem Aufzug und Japans größtem Beatles-Fan eine Zumutung und die „Unfriendly Street“ nicht das Milieu, in dem ich mich gern bewege. Aber kurz darauf entdeckte ich in der „Friendly Street“ das weltbeste Essen und schoss bei diesem abendlichen Spaziergang ein paar meiner Lieblingsfotos. So wie das der riesigen, roten Krabbe vor einem Kani Doraku-Restaurant, die sich langsam in einem immerwährenden Takt bewegte.
Heute steige ich wie gesagt in einem anderen Hotel ab, wenn ich in der Stadt bin. Und das bin ich, wann immer ich kann, weil aus dem holprigen Start dann noch ganz unerwartet die große Liebe wurde.
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Hallo
Schöner Bericht mit hilfreichen Empfehlungen
In welchem Tokio-Inn Hotel bist du denn letztendlich mehrfach abgestiegen? Es gibt ja mehrere in Osaka.
Unsere Reise nach Japan steht im September an
Viele Grüße, Ina
Hallo Ina,
das war das Toyoko Inn Shin-osaka-eki Higashi-guchi. Ich muss allerdings sagen, dass ich keine Toyokos mehr buche, wenn es sich vermeiden lässt, weil die Hotels in den letzten zwei Jahren alle mit neuen Matratzen ausgestattet wurden, die steinhart sind und ich dort nicht mehr erholsam schlafe -_-
Das nur als Hinweis.
Viele Grüße
Elisa